Seit einigen Jahren forsche ich zum Thema «Alternativmedien», worunter Nachrichtenmedien zu verstehen sind, die sich gegen die politische und mediale Öffentlichkeit, den so genannten «Mainstream» richten. Als gegenöffentliche Gruppierungen erlangten sie in den letzten Jahren vor allem im Zusammenhang mit Begriffen wie «Fake News» bzw. «Desinformation» oder «Verschwörung» öffentliche Aufmerksamkeit und werden als ernst zu nehmende Gefahr für die soziale Ordnung respektive Demokratie betrachtet. Die absichtliche Verbreitung falscher Nachrichten («Fake News») evoziert schliesslich eine zunehmende Polarisierung der Gesellschaft, die demokratische Willensbildung ist gefährdet und das Vertrauen in Institutionen (wie Politik oder Medien) wird brüchig.
Verschwörungstheorien sind in diesem Zusammenhang jedoch differenziert zu betrachten. Verschwörungstheorien vereinen im Kern die Annahme, dass gesellschaftliche Ereignisse miteinander verwoben sind und im Geheimen von – meist elitären – Gruppen gesteuert werden; nichts passiert zufällig. Verschwörungstheorien existieren seit jeher, so wurden im Mittelalter Hexen als vermeintliche Verursacherinnen von Naturkatastrophen verfolgt. In den vergangenen Jahren sammelten sich beispielsweise nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 zahlreiche Verschwörungstheorien, wonach das Attentat geplant gewesen wäre, oder auch im Zuge der Flüchtlingsbewegungen 2015, als u. a. antisemitische Theorien verbreitet wurden, wonach Juden die Migrationsbewegungen bewusst steuern würden.
In besonderem Masse mit dem Thema Verschwörung konfrontiert wurden wir jüngst im Zuge des Ausbruchs der COVID-19-Pandemie. Bill Gates, George Soros und weitere elitäre (häufig jüdische) Personen würden eine neue Weltordnung planen, das Virus solle in einem Labor gezüchtet worden sein, mit dem Ziel einer Zwangsimpfung und Überwachung der Gesellschaft durch injizierte Mikrochips – um nur beispielhafte Mythen aufzuzählen.
In Abgrenzung zur absichtlichen Verbreitung von Falschinformationen ist im Fall von Verschwörungstheorien häufig nicht empirisch belegt, ob die Theorie tatsächlich wahr oder falsch ist. Insofern existieren auch Theorien, die sich im Nachhinein als wahr entpuppten, wie beispielsweise die Watergate-Affäre in den 1970er Jahren. Dies ist allerdings eine weniger Ausnahmen.
Die Verbreiter_innen von Verschwörungstheorien sind indes häufig davon überzeugt, dass ihre Theorien der Wahrheit entsprechen und erachten es als ihre gesellschaftliche Aufklärungsfunktion, möglichst viele davon zu überzeugen. Gefahren für die demokratische Ordnung ergeben sich jedoch insbesondere dann, wenn Gegenbeweise existieren, die Theorien also empirisch falsch sind, und ein rationaler Diskurs darüber nicht mehr möglich ist; wenn Verschwörungstheorien eine Polarisierung der Gesellschaft befördern, indem z. B. Gruppen diffamiert werden – beispielsweise Jüdinnen und Juden.
Länderübergreifende Vernetzung
In den vergangenen Jahren erlebten wir einen gefühlten «Aufschwung» verschwörungstheoretischer Narrative. Dies hat mehrere Gründe: Einerseits wurde es durch die Etablierung von Social-Media-Plattformen für Lai_innen möglich, Inhalte – wie auch gegenöffentliche Meinungen – ohne Überprüfung zu verbreiten. Auch das Teilen von verschwörungstheoretischen Beiträgen, z.B. über Videoformate, wurde dadurch um vieles einfacher. Die algorithmische Selektion durch die Plattformen und damit einhergehende «Vorschläge» von Beiträgen, die den eigenen Interessen entsprechen, können dabei zu einer Art Sogwirkung dieser skandalisierenden und emotionalisierenden Beiträge führen. Andererseits befördern gesellschaftliche Krisen einen Aufschwung alternativer Deutungsmuster, wie beispielsweise im Zuge der COVID-19-Pandemie deutlich wurde. Krisenphasen sind geprägt von Gefühlen der Unsicherheit und Ängsten des Kontrollverlustes, offizielle Statements der Regierungen werden fallweise nicht mehr als zufriedenstellend betrachtet (van Prooijen & Douglas, 2017). Bürger_innen suchen nach Antworten für komplexe Sachverhalte. Die Bereitschaft, für alternative Narrative – beispielsweise in Form von Verschwörungstheorien – empfänglich zu werden, steigt: «Schuldige» hinter der Krise werden gesucht. Gerade diese Suche nach «Sündenböcken» ist für moderne Gesellschaften besonders problematisch. Es etabliert sich eine «Gut»- vs. «Böse»-Semantik, Gesellschaftsgruppen werden diskreditiert.
Inwieweit Verschwörungstheorien in der Schweiz deutungsmächtig sind, ist schwierig zu beurteilen. Vielmehr handelt es sich um einzelne Gruppen innerhalb der Gesellschaft, die affin gegenüber solcher Verschwörungsmythen sind und sich – beispielsweise mithilfe digitaler Möglichkeiten – miteinander vernetzen. Es ist davon auszugehen, dass es sich dabei um einen kleineren Ausschnitt der Gesellschaft handelt, der allerdings, z. B. mittels Protestaktionen und Demonstrationen, «am lautesten schreit» und somit auf mediale Resonanz stösst. Nicht zu unterschätzen ist dennoch die länderübergreifende Vernetzung jener Gruppierungen, sei es über Websites oder Social-Media-Plattformen. Schweizer Websites mit verschwörungstheoretischem Charakter lassen sich zwar an einer Hand abzählen – so beispielsweise die Seite Uncut-News mit über 800’000 monatlichen Zugriffen –, im Ländervergleich mehren sich einschlägige Seiten beispielsweise aus Deutschland jedoch beachtlich – und werden mitunter von Schweizerinnen und Schweizern häufig genutzt. So z.B. die deutsche Plattform KenFM, die durch Ken Jebsen betrieben wird, der mitunter schon mit antisemitischen Beiträgen für Aufregung gesorgt hat[1]. Verschwörungstheoretische Medien werden häufig von Lai_innen produziert, was sich auch in laienhaftem, oft düsterem Design widerspiegelt: so spielt beispielsweise die Schweizer Website Alles Schall und Rauch mit der Symbolik einer in Flammen aufgehenden Welt. Thematisch fokussiert werden neben Verschwörungsmythen auch spirituelle und esoterische Themen, wie beispielweise Alternativmedizin.
Allianzen von links bis rechts
Obwohl wissenschaftlich belegt ist, dass u. a. rechtspopulistische Einstellungen einen Einfluss auf die Affinität gegenüber Verschwörungstheorien haben können (Castanho Silva, Vegetti & Littvay, 2017)[2], zeigt sich im Zuge der Corona-Pandemie mitunter ein differenzierteres Bild. Medial diskutiert wurde beispielsweise die Corona-Demonstration in Berlin im Herbst 2020, als Demonstrant_innen mit Deutschen Reichsflaggen ihr Unbehagen kundgetan haben – nur wenige Meter entfernt davon Demonstrant_innen mit Regenbogenflaggen in der Hand. Obgleich es sich hierbei um ein paradoxes Bild handelt, wird gleichzeitig deutlich, dass das gemeinsame Thema – die Kritik an Corona-Massnahmen – als kleinster gemeinsamer Nenner neue Gemeinschaften bildet. Die politische Gesinnung scheint dabei eine geringere Rolle einzunehmen, vielmehr gilt es, gegen das gemeinsame «Feindbild» aufzustehen. Dabei können sich die jeweiligen Motive für eine Teilnahme an entsprechenden Veranstaltungen stark voneinander unterscheiden: Nicht alle Demonstrationsteilnehmenden verbindet der Glaube an Verschwörungstheorien. Und auch der Glaube an jene Mythen kann sehr unterschiedlich ausgeprägt sein, gibt es schliesslich mittlerweile eine Vielzahl davon.
Neben der Gefahr einer zunehmenden gesellschaftlichen Polarisierung birgt die zunehmende Verbreitung von Verschwörungstheorien im Zuge dieser Pandemie für alle Bürger_innen ein weiteres ernst zu nehmendes Risiko. Studien konnten bereits belegen, dass der Glaube an Verschwörungstheorien Einfluss auf das subjektive Handeln haben könne: So würden Personen, die an Verschwörungstheorien mit Bezug auf den Klimawandel glauben, weniger auf ihren ökologischen Fussabdruck achten (Jolley & Douglas, 2014; van der Linden, 2015). Aktuelle Befunde zeigen weiter, dass der Glaube an eine Corona-Verschwörung mit dem Nichteinhalten von Massnahmen einhergehen könne (Pummerer et al., 2020) – was schlussendlich unser aller Gesundheit gefährden würde.
Viele von uns erreichten in den letzten Monaten verschwörungstheoretische Beiträge, beispielweise über Messenger-Dienste, von Personen aus dem Bekanntenkreis. Auch als Forscherin zum Thema «Verschwörung» ist man umso bestürzter, wenn man auch im Privaten damit konfrontiert wird. Prinzipiell scheint jede_r für den Glauben an Verschwörungen empfänglich zu sein, der/die stark mit Gefühlen der Unsicherheit und Ängsten während der Krise zu kämpfen hat. Die Frage, wie man in diesem Fall am besten reagieren soll, ist schwierig, zumal jeder Versuch, eine Verschwörungstheorie aufzudecken, von Anhänger_innen als weiterer Beweis für die Wahrheit der Theorie gedeutet werden kann. Ich sehe es dennoch als wesentlich, sich auf einen möglichst respektvollen Diskurs einzulassen, um jene abzuholen, die für rationale Argumente überhaupt noch empfänglich sind. Dabei ist es wesentlich, die Ängste dieser Personen ernst zu nehmen und diese nicht ins Lächerliche zu ziehen; Fragen zu stellen und nicht zu schnell aufzugeben. Dies bedeutet Arbeit für uns alle und wird realistischerweise nicht immer gelingen. Gerade aber bei Personen, die uns nahestehen, sollten wir uns die Mühe machen.
[1] Z. B. https://www.belltower.news/kenfm-ken-jebsen-der-gefaehrliche-querfront-demagoge-99419/
[2] Wenn auch strittig, so konnten weitere Studien keinen politischen Einfluss bestätigen (z. B. Oliver und Wood (2014)).
Fischhof-Preis prämiert zwei Politiker:innen und eine Aktivistin
Bei der diesjährigen Verleihung des Fischhof-Preises wurden erstmals drei Persönlichkeiten gleichzeitig für ihren Einsatz gegen Rassismus und Antisemitismus ausgezeichnet. Die Preisträger:innen sind alt SP-Nationalrat Angelo Barrile, Mitte-Ständerätin Marianne Binder-Keller und Theologin Nicola Neider Ammann. Im Gespräch mit Moderator David Karasek reflektierten sie über ihre Arbeit, ihre Motivation sowie ihre Sorgen und Ängste – doch auch über ihre Hoffnungen, die trotz aller Herausforderungen spürbar waren.
Alt Bundesrat Moritz Leuenberger sprach ebenfalls mit David Karasek und fragte selbstkritisch: «Bin ich vielleicht selbst antisemitisch, ohne es zu merken?» Er machte darauf aufmerksam, wie tief Rassismus und Antisemitismus in der Gesellschaft verankert sind und wie selten diese Mechanismen hinterfragt werden. Bewegende Laudationen von SP-Nationalrätin Priska Seiler Graf, alt SIG-Präsident Herbert Winter und alt Grünen-Nationalrätin Cécile Bühlmann würdigten die Leistungen der Preisträger:innen eindrücklich.
Der Fischhof-Preis setzt auch 2024 ein starkes Zeichen gegen Diskriminierungen aller Art und bietet ein Gegennarrativ zu den Stimmen, die behaupten, das «Böse» sei unaufhaltsam. Die GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus und die GMS Gesellschaft Minderheiten in der Schweiz vergeben den Fischhof-Preis, um denjenigen Personen eine Bühne zu geben, die sich für Gerechtigkeit, Demokratie und Inklusion einsetzen.
Eine fotografische Rückschau finden Sie hier.
Foto: Alain Picard