Von Dania Zafran
Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) hat seinen jährlichen Lagebericht «Sicherheit Schweiz 2019» publiziert. Darin schreibt er unter anderem, 2018 seien dem NDB 53 Ereignisse im Bereich des Rechtsextremismus bekannt geworden. «Für den Rechtsextremismus bedeutet dies mehr als eine Verdreifachung. Rechtsextrem motivierte Gewalttaten wurden keine bekannt.» Und weiter: «Der NDB hat 2018 eine deutlich erhöhte Anzahl von Ereignissen im Bereich Rechtsextremismus festgestellt. Die Schweizer rechtsextreme Szene ist im Aufbruch. Ob sie sich dabei auch in Richtung konkrete Gewaltanwendung bewegt, bleibt vorderhand unklar; zumindest war 2018 keine Gewalttat zu verzeichnen.» Und weiter: «Die Medien, die Behörden und die linksextreme Szene widmen der rechtsextremen Szene und ihren Aktivitäten weiterhin viel Aufmerksamkeit. Damit bleiben die Schwierigkeiten bestehen, vor die sich die rechtsextreme Szene gestellt sieht. Wer als Rechtsextremer erkannt oder bezichtigt oder mit rechtsextrem motivierten Ereignissen in Verbindung gebracht wird, hat mit persönlichen Konsequenzen zu rechnen.»
Fabian Eberhard, Journalist beim «SonntagsBlick», erläutert auf Anfrage, wie solche explodierenden Zahlen zu erklären sind. Er sagt: «Das Problem ist, dass sich an den Rändern der etablierten rechtsradikalen Szene immer mehr radikalisierte, aber nicht wirklich organisierte Kleingruppen und Einzelpersonen tummeln, bislang Unbekannte, vorwiegend Männer um die 30, radikalisiert über soziale Medien, die sonst nicht in den klassischen Gruppierungen verkehren. Diese haben auch ein relativ grosses Gewaltpotential.» Auch der deutsche Verfassungsschutz in Berlin habe erst kürzlich vor dieser neuen Art des Rechtsextremismus gewarnt, so Eberhard. Zudem würden etablierte Gruppierungen wie die Pnos (Partei National Orientierter Schweizer) oder «Blood and Honour» vermehrt öffentlich auftreten, beflügelt von der politisch aufgeheizten Stimmung in Europa. Die Szene sei allgemein im Aufwind, und bereits bestehende Gruppierungen seien zwar nicht gewachsen, sondern einfach aktiver als früher und dies eben auch mit Auftritten in der Öffentlichkeit, was die explodierende Zahl von rechtsradikalen Ereignissen erklären lässt.
Die GRA hat auch Extremismus- und Gewaltexperte Samuel Althof zum neusten NDB-Bericht befragt. Althof erklärt die Zahlen des Bundes wie folgt: «Die Szene trifft sich, der NDB registriert das, aber die Szene in der Schweiz ist nicht massiv gewachsen», so Althof. Und weiter: «Was der NDB sieht, bestimmt die Zahlen in seinem Bericht. So entstehen diese Zahlen. Der NDB hat einfach letztes Jahr mehr gesehen und wohl mehr Infos zugespielt bekommen. Das bedeutet nicht, dass die Szene substanziell gewachsen ist, es sind nur mehr festgestellte Ereignisse. Mehr Ereignisse bedeuten nicht automatisch eine grössere oder gefährlichere Szene. Es wurden also zum Beispiel mehr Treffen oder öffentliche Auftritte festgestellt.» Zudem sieht auch Althof die Gefährlichkeit eher punktuell bei einzelnen Tätern als bei organisierten Gruppierungen. «Darum lässt sich aus diesen Zahlen auch keine erhöhte strukturelle Gefährdung gegenüber dem Staat ableiten», so der Experte weiter. Es seien häufig auch Kameradschaften, die nach einem Jahr oder so wieder verschwinden würden. Die rechtsextreme Szene stehe zudem unter Druck: «Linksextreme sehen gut in die Rechten rein und unterwandern sie zum Teil auch. Sie üben dann Druck auf die Rechten aus. Sie veröffentlichen zum Beispiel Treffpunkte und Namen der Mitglieder und bescheren ihnen damit wirtschaftliche Nachteile wie erschwerte Job- und Lokalsuche.» Damit sei die Linke ein Teil des Problems, denn Rechts- wie auch Linksextreme würden ihre Legitimation aus ihrer Gegnerschaft beziehen, so Althof.
Nun reagiert auch die Politik auf die jüngsten Entwicklungen in der Schweiz. Wie der «SonntagsBlick» berichtete, fordern Politiker den Bundesrat auf, die «wachsende, terroristische Bedrohung von rechts ernst zu nehmen».
In einem Antwortschreiben, das dem «SonntagsBlick» vorlag, kündigte CVP-Bundesrätin Viola Amherd Massnahmen an. «Der Bundesrat ist sich der gewalttätig-extremistischen Gefahr bewusst», schreibt sie. Und: Sie habe den NDB beauftragt, ihr im Rahmen einer Gesetzesrevision konkrete Vorschläge zu unterbreiten, wie gegen Gewaltextremisten härter vorgegangen werden könne.
Fischhof-Preis prämiert zwei Politiker:innen und eine Aktivistin
Bei der diesjährigen Verleihung des Fischhof-Preises wurden erstmals drei Persönlichkeiten gleichzeitig für ihren Einsatz gegen Rassismus und Antisemitismus ausgezeichnet. Die Preisträger:innen sind alt SP-Nationalrat Angelo Barrile, Mitte-Ständerätin Marianne Binder-Keller und Theologin Nicola Neider Ammann. Im Gespräch mit Moderator David Karasek reflektierten sie über ihre Arbeit, ihre Motivation sowie ihre Sorgen und Ängste – doch auch über ihre Hoffnungen, die trotz aller Herausforderungen spürbar waren.
Alt Bundesrat Moritz Leuenberger sprach ebenfalls mit David Karasek und fragte selbstkritisch: «Bin ich vielleicht selbst antisemitisch, ohne es zu merken?» Er machte darauf aufmerksam, wie tief Rassismus und Antisemitismus in der Gesellschaft verankert sind und wie selten diese Mechanismen hinterfragt werden. Bewegende Laudationen von SP-Nationalrätin Priska Seiler Graf, alt SIG-Präsident Herbert Winter und alt Grünen-Nationalrätin Cécile Bühlmann würdigten die Leistungen der Preisträger:innen eindrücklich.
Der Fischhof-Preis setzt auch 2024 ein starkes Zeichen gegen Diskriminierungen aller Art und bietet ein Gegennarrativ zu den Stimmen, die behaupten, das «Böse» sei unaufhaltsam. Die GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus und die GMS Gesellschaft Minderheiten in der Schweiz vergeben den Fischhof-Preis, um denjenigen Personen eine Bühne zu geben, die sich für Gerechtigkeit, Demokratie und Inklusion einsetzen.
Eine fotografische Rückschau finden Sie hier.
Foto: Alain Picard