Nein zur Selbstbestimmungsinitiative: Achtung Etikettenschwindel!
09.11.2018

«Die Minderheiten sind der Fiebermesser einer Gesellschaft. Der Umgang mit ihnen zeigt den Gesundheitszustand an.» Das Zitat stammt vom Gründer der GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus, Sigi Feigel sel. Würde die Selbstbestimmungsinitiative am 25. November angenommen, so entspräche dies einem markanten Anstieg der Körpertemperatur, also einem Fieberschub.

 Vordergründig geht es bei der Selbstbestimmungsinitiative um das Verhältnis zwischen Bundesrecht und Völkerrecht, wobei die Initiative verlangt, dass die Bundesverfassung in jedem Fall über völkerrechtlichen Verträgen stehen soll. Im Falle eines Widerspruchs sollen völkerrechtliche Verträge deshalb nötigenfalls gekündigt werden.

Es gibt zahlreiche Gründe, die Selbstbestimmungsinitiative abzulehnen. Denn während die Initiative vorgibt, die Rechtssicherheit zu stärken, wäre bei einer Annahme eine massive Unsicherheit die Folge. Wie soll die Schweiz denn im Alleingang ein multinationales Abkommen wie zum Beispiel die Verträge der Welthandelsorganisation WTO nachverhandeln? Die vermeintlich einfache Lösung der Selbstbestimmungsinitiative zur Bereinigung von Widersprüchen ist denn auch eine Illusion. Wird der Kündigungsautomatismus für internationale Verträge in der Verfassung festgeschrieben, ist die Exportweltmeisterin Schweiz als Vertragspartnerin schlicht nicht mehr glaubwürdig.

Damit nicht genug. Die aktuelle Plakatkampagne kommt lammfromm daher, sie verzichtet auf schwarze Schafe und andere Diffamierungen, aber die Initianten sagen offen, dass sie nach einer Annahme der Selbstbestimmungsinitiative die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) kündigen wollen. 

Wer den Text dieser Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten durchliest, fragt sich, was das soll. Weshalb soll ein Vertrag, der beispielsweise Folter und Sklaverei verbietet, gekündigt werden? Die Befürworter der Initiative sagen, diese Bestimmungen seien alle auch in der Bundesverfassung aufgeführt und eine zusätzliche Regelung sei deshalb unnötig. 

Dabei vergessen sie zu erwähnen, dass es in der Schweiz keine Verfassungsgerichtsbarkeit gibt. Verfassungsänderungen sind jederzeit möglich und fällt der Schutz durch die EMRK weg, können ihre Bestimmungen nach Belieben missachtet werden. Die Selbstbestimmungsinitiative gefährdet deshalb die Geltung eines Mindeststandards für Menschenrechte in der Schweiz, denn die EMRK garantiert, dass eine potentielle Missachtung der Menschenrechte in der Schweiz auf dem Gerichtsweg korrigiert werden kann. 

Die Befürworter der Selbstbestimmungsinitiative bemühen daher stets das Bild «Fremder Richter», vor deren Einfluss sie die Schweiz schützen wollen. Im Kern geht es ihnen aber darum, die Kompetenz der inländischen Gerichte zu beschneiden. Denn bei potentiellen Widersprüchen zu internationalen Bestimmungen kämen Richterinnen und Richter unter Druck, sich in ihren Urteilen an den politischen Konsequenzen zu orientieren. Ihre Unabhängigkeit würde geschwächt und in Fragen des Menschenrechtsschutzes würden sie wohl der Missachtung des Volkswillens bezichtigt. 

Machen wir uns nichts vor: Die Selbstbestimmungsinitiative ist brandgefährlich. Mit ihren Anliegen, nämlich der Schwächung der Gerichte und der Gefährdung der Gewaltenteilung, rütteln die Initianten an den Grundfesten unserer staatlichen Ordnung. 

Die Initiative ist somit ein Etikettenschwindel. Sie beschwört die Souveränität der Schweiz und stellt gleichzeitig die demokratischen Grundwerte der Eidgenossenschaft in Frage. Sie schwächt den Schutz der Menschenrechte in einem Land, in dem die friedliche Koexistenz unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen eine historische Errungenschaft darstellt. Sie gefährdet darüber hinaus den Wohlstand eines Landes, das auf internationale Märkte angewiesen ist und nach einer Annahme nicht mehr als verlässlicher Verhandlungspartner auftreten könnte. 

Im Kern ist die Initiative deshalb nicht nur un-schweizerisch, sondern auch eine Anti-Menschenrechts-Initiative. Das ist zwar für alle Schweizerinnen und Schweizer von Bedeutung. Aber Angehörige von Minderheiten sind auf die Garantie der Menschenrechte ganz besonders angewiesen. Denn sie sind nach aller Erfahrung die ersten, die von Veränderungen betroffen werden. 

Es bleibt die Hoffnung, dass die wahren Absichten der Selbstbestimmungsinitiative durchschaut werden, dass sie am 25. November klar abgelehnt wird und dass die eingangs erwähnte Körpertemperatur nicht ansteigt!

 Pascal Pernet, Präsident der GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus

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13.12.2023

«Nicht bei uns! Gegen Rassismus und Antisemitismus»

Die Kampagne startet mit Strassenplakaten ab dem 11. Dezember und dauert bis Ende Januar 2024. Dazu werden nebst klassischen Plakaten zusätzlich die grossen Anzeigetafeln in Bahnhöfen, kleine Displays im öffentlichen Verkehr und weiteren Orten bespielt.

In sozialen Medien, insbesondere Instagram, sowie in Printmedien wird die Kampagne ebenfalls zu sehen sein.

Hier geht es zu mehr Infos über die Kampagne und den Plakaten als Download.

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