
Herr Jositsch, Ende 2021 wurden gleich drei politische Vorstösse eingereicht, die ein Verbot von extremistischen oder nationalsozialistischen Symbolen fordern. Wie deuten Sie diese Entwicklung?
Parlamentarier:innen sind ein Sensor für den Zeitgeist und greifen jene Themen auf, die die Gesellschaft bewegen. Die Proteste gegen die Coronamassnahmen haben rechte Gruppierungen auf den Plan gerufen, die an Protesten mitlaufen. Gleichzeitig häufen sich bei diesen Protesten Vergleiche mit dem Nationalsozialismus, beispielsweise mit dem gelben Davidstern. Teile der Gesellschaft fordern daher ein klares Zeichen der Politik, welches mit diesen Vorstössen aufgegriffen wurde.
Ein Verbot nationalsozialistischer Symbole wird immer wieder diskutiert im Parlament. Vor 15 Jahren haben Sie sich ebenfalls für ein Verbot ausgesprochen, als dieses als Bundesratsvorlage in die Vernehmlassung ging. Am Schluss wurde das Thema aber versenkt. Wieso?
Dazu muss man die Entstehungsgeschichte der Rassismus-Strafnorm verstehen. Als diese Mitte der 90er Jahre dem Volk zur Abstimmung vorgelegt wurde, sahen bestimmte Kreise die Meinungsäusserungsfreiheit in Gefahr. Man entschied sich aus strategischen Gründen dazu, die Norm eher «schlank» zu halten, damit die Chancen einer Annahme an der Urne möglichst hoch sind. Schon damals erwog man aber eine mögliche Ergänzung für Symbole in Zukunft. Heute ist die Rassismus- Strafnorm weniger umstritten – eine Ergänzung daher vielleicht gar nicht so unrealistisch.
Wäre ein Verbot überhaupt umsetzbar?
Ich glaube in dieser Debatte ist es wichtig, dass man eine realistische Erwartungshaltung beibehält. Allein die Tatsache, dass solche Symbole konstant in leicht abgeänderter Form neu in Erscheinung treten, macht die Umsetzung eines Verbotes unglaublich schwierig. Die Erwartung, dass man bei einem Verbot solche Symbole nicht mehr sieht im öffentlichen Raum, ist unrealistisch. Wenn es aber vor allem darum geht, ein Zeichen zu setzen, dass menschenverachtende Ideologien nicht geduldet werden im öffentlichen Raum, dann kann ein Verbot durchaus Sinn ergeben. Schliesslich ist Geldwäscherei ja auch verboten, auch wenn diese damit nicht verhindert werden kann.
Wenn ein Gesetz allein nicht reicht, was braucht es zusätzlich zur Bekämpfung der Verbreitung und Anziehungskraft solcher Symbole?
Das beste und wohl nachhaltigste Mittel ist Präventions- und Bildungsarbeit. Die junge Generation muss genau wissen, wofür diese Symbole stehen und weshalb sie auf keinen Fall verharmlost oder für die eigene politische Agenda eingesetzt werden dürfen. Dieses Wissen muss so vermittelt werden, damit es die Lebensrealität junger Generationen auch anspricht.
Zur Person:
Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch ist Ständerat und Professor für Aktuelle Vorstösse zum Verbot von Strafrecht und Strafprozessrecht an der Universität Zürich. Er ist zudem Mitglied der Staatspolitischen Kommission, Mitglied der Delegation bei der Interparlamentarischen Union und seit 2018 Vizepräsident der Sozialdemokratischen Fraktion.
Aktuelle Vorstösse zum Verbot von rassistischen Symbolen im Parlament:
Die von Marianne Binder-Keller eingereichte Motion «Keine Verherrlichung des Dritten Reiches – Nazisymbolik im öffentlichen Raum ausnahmslos verbieten» zielt darauf ab, eine eigenständige Grundlage zu schaffen, um die Verwendung von in der Öffentlichkeit bekannten Kennzeichen des Nationalsozialismus digital wie in der realen Welt zu verbieten und unter Strafe zu stellen
Mit der Parlamentarischen Initiative «Verbot der öffentlichen Verwendung von extremistischen, gewaltverherrlichenden und rassistischen Symbolen», eingereicht von Angelo Barrile, soll eine Anpassung der gesetzlichen Grundlagen erreicht werden, um die öffentliche Verwendung von Propagandamitteln, insbesondere des
Nationalsozialismus oder einer rassistisch motivierten Vereinigung unter Strafe zu stellen.
Die Parlamentarische Initiative «Öffentliche Verwendung und Verbreitung rassendiskriminierender Symbole in jedem Fall unter Strafe stellen», eingereicht von Gabriela Suter, zielt darauf ab, das Strafgesetzbuch dahingehend zu ergänzen, dass die öffentliche Verwendung oder Verbreitung von rassistischen Symbolen, nationalsozialistischen Symbolen im Besonderen, mit Busse bestraft werden, auch wenn diese ohne Werbecharakter präsentiert werden. Eine Ausnahme soll hier für die öffentliche Verwendung oder Verbreitung solcher Symbole zu wissenschaftlichen oder
schutzwürdigen kulturellen Zwecken gelten.

Lesung und Gespräch zu «Gojnormativität. Warum wir anders über Antisemitismus sprechen müssen.»
Am 8. Mai 2025 sprechen Judith Coffey und Vivien Laumann im Zollhaus Zürich über ihr Buch «Gojnormativität. Warum wir anders über Antisemitismus sprechen müssen».
Im Buch loten die Autorinnen das Verhältnis von Jüdischsein und weiss-Sein aus und gehen der spezifischen Unsichtbarkeit von Juden:Jüdinnen in der Mehrheitsgesellschaft nach. In Anlehnung an das Konzept der Heteronormativität erlaubt «Gojnormativität», Dominanzverhältnisse in der Gesellschaft zu befragen und so ein anderes Sprechen über Antisemitismus zu etablieren.
Das Buch ist eine Aufforderung zu einem bedingungslosen Einbeziehen von Juden:Jüdinnen in intersektionale Diskurse und Politiken und zugleich ein engagiertes Plädoyer für solidarische Bündnisse und Allianzen.
Wann: 8. Mai 2025 um 19:00 Uhr
Wo: Zollhaus Zürich / online mit Livestream
Sprache: Deutsch und Verdolmetschung in Gebärdensprache (auf Anfrage)
Moderation: Prof. Dr. Amir Dziri
In Kooperation mit: ZIID und feministisch*komplex
>>Tickets kaufen: ZIID Zürcher Institut für interreligiösen Dialog
>>Flyer herunterladen