GRA-/GMS-Veranstaltung: «Reformation und Antijudaismus»
23.12.2019

Am 3. Dezember 2019 lud die GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus zusammen mit der GMS Gesellschaft Minderheiten in der Schweiz zum Abschluss des Reformationsjahres 1519/2019 ein zur Veranstaltung mit dem Thema «Juden, hebräische Bibel und Anti-Judaismus in der Reformationszeit – und heute?». Die gut besuchte Veranstaltung fand in der Kapelle des Zürcher Kulturhauses Helferei statt. Dabei sollte vor allem die Stadt Zürich als «Zwingli-Stadt» und ihr Erbe in Bezug auf den Umgang der Reformation mit Andersgläubigen und speziell mit dem Judentum damals sowie heute genauer beleuchtet werden.

Michael Bischof, Leiter Integrationsförderung der Stadt Zürich, richtete ein Grusswort an die Anwesenden und stimmte auf die Thematik ein. Auf dem Podium waren Prof. Dr. em. Jacques Picard (Historiker Universität Basel), Pfarrer Prof. Dr. theol. Christoph Sigrist (Präsident der GMS und Pfarrer des Grossmünsters) sowie lic. phil. Peter Niederhäuser (Historiker und Schriftsteller). Olivia Röllin (Moderatorin «Sternstunde Religion» SRF) leitete das Gespräch.

Zu Beginn der Podiumsdiskussion ging es vor allem um die Frage, ob und inwiefern Zwingli und/oder Luther und später Bullinger «Antisemiten» waren. Dabei kristallisierte sich der Unterschied zwischen Antisemitismus und Antijudaismus heraus: Antijudaismus bezeichnet ein Konzept einer religiösen und theologisch motivierten Judenfeindschaft. Die antijüdische Tradition des Christentums geht auf die konflikthafte Ablösung der frühen Christen vom Judentum zurück. Antisemitismus hingegen beschreibt auf einem Rassengedanken beruhende soziale, religiöse und kulturelle Vorurteile und feindselige Handlungen gegen jüdische Personen sowie judenfeindliche Ideologien. Dabei handelt es sich um eine sprachliche Neubildung aus dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. (vgl. GRA-Glossar)

Wie die angeregte Diskussion zeigte, kann zumindest Zwingli nicht als anti-jüdisch bezeichnet werden. Gewisse jüdische Stereotypen und Feindbilder gab es dennoch und dies, obschon in den mittelalterlichen Städten fast keine Jüdinnen und Juden (mehr) lebten; ein Phänomen, dass auch gemäss der heutigen Definition von Antisemitismus gilt. Antijudaismus und Antisemitismus funktionieren ohne reale Menschen. Sie bauen auf Vorstellungen über «Juden» auf und funktionieren unabhängig vom Verhalten jüdischer Menschen. Eine der wenigen Kontakte, welche Zwingli zu dieser Zeit mit jüdischen Gläubigen hatte, war in Zusammenhang mit der Übersetzung bzw. Auseinandersetzung des Alten Testaments aus dem Hebräischen und allgemein altbiblischen Texten, da die hebräischen Fassungen – nach reformatorischer Auffassung – näher an Gottes Wort sind. Zwingli berief sich mehrheitlich auf das Neue Testament und propagierte anhand der Bundestheologie schon damals den interreligiösen Dialog, wonach Minderheiten miteingeschlossen werden sollten. Aus Sicht von Christoph Sigrist konnte Zwingli daher sogar als revolutionär für seine Zeit bezeichnet werden.

Doch welche Lehren können aus diesen Folgerungen für die Zukunft gezogen werden? Wie ist das Verhältnis zwischen den Religionen heute?

Die Diskussion zeigte auf, dass religiöse Bewegungen wie bspw. die Reformation leider auch Schatten werfen und oft auch mit Abgrenzungsmechanismen zusammenhängen; die Ausgrenzungsproblematik war damals wie heute vorhanden. Die Auseinandersetzung mit eben auch solchen Schattenseiten und der Geschichte im Allgemeinen soll helfen, Licht in dieses Kapitel der Geschichte zu bringen. Ein Podiumsteilnehmer hielt treffend fest: «Die Begegnung mit anderen Minderheiten führt einem einen Spiegel vor Augen und dadurch rücken Menschen ins Blickfeld, für die man vorhin einen blinden Fleck hatte.»

 

Romilda Bucher

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Ein Ausschnitt aus dem Flyer des Programms der Ringvorlesung. Darauf zu sehe ist das Logo der Universität Zürich sowie der Titel der Ringvorlesung: Antisemitismus.
05.09.2024

Ringvorlesung «Antisemitismus» der Sigi Feigel-Gastprofessur für Jüdische Studien

Wann: Jeweils montags zwischen 18.15 bis 19.45 Uhr
Daten: 23.09./14.10./28.10/04.11/18.11./2.12./16.12.
Ort: Universität Zürich, Rämistrasse 71, Raum: KOH-B-10

Seit dem Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 hat der Begriff des Antisemitismus in öffentlichen Debatten wieder hörbar Eingang gefunden. Doch wird nicht nur mit Blick auf dieses Ereignis und seine Folgen über Antisemitismus diskutiert. Jüdische Menschen in der ganzen Welt sind seit dem Herbst 2023 vermehrt antisemitischen Anfeindungen in allen Formen ausgesetzt. Während Jüdinnen und Juden auf diese Weise unmittelbar von Antisemitismus betroffen sind, werden andere im öffentlichen Diskurs wiederum als antisemitisch bezeichnet, wenn sie beispielsweise eine «israelkritische» Stellung zur Lage in Nahost beziehen.

Antisemitismus ist kein neues Phänomen. Der Hass gegen jüdische Menschen blickt auf eine lange (Leidens-)Geschichte zurück, die nun wieder aktuell geworden ist. Die Ringvorlesung analysiert Begriff, Geschichte und Ausdrucksformen des Antisemitismus und lässt Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Gesellschaft zu Wort kommen, die historische Hintergründe, psychologische und rechtliche Dimensionen, ideologische und politische Erscheinungen sowie persönliche Erfahrungen vorstellen.

Die Ringvorlesung wird in Kooperation mit der Gamaraal Foundation veranstaltet (www.last-swiss-holocaust-survivors.ch).

Der Eintritt ist frei.

Weitere Informationen finden Sie im Veranstaltungsflyer.

 

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