Umgang mit Rassismus und Antisemitismus an Schulen
Was ist Rassismus?
Die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz ECRI nennt folgende Definition des Begriffs:
«Rassismus bedeutet die Überzeugung, dass ein Beweggrund wie Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion, Staatsangehörigkeit oder nationale oder ethnische Herkunft die Missachtung einer Person oder Personengruppe oder das Gefühl der Überlegenheit gegenüber einer Person oder Personengruppe rechtfertigt.»
Rassismus ist somit eine Ideologie der Unterdrückung und wurde im Zuge des Kolonialismus und Versklavungshandels hervorgebracht. Er fusst auf einer «Rangordnung» von Menschen, die von biologischen und/oder anderen scheinbaren «Kriterien» unterlegt ist. Rassistische Argumentationen dienen dazu, Machtverhältnisse zu legitimieren. Sie sichern Privilegien der Mehrheitsgesellschaft. Rassismus hat verschiedene Formen, wobei «Othering» (vgl. dazu unten) eine zentrale Rolle spielt.
Rassismus ist etwa, wenn
…Sprüche fallen wie «Hast du vergessen, dich zu waschen?», «Du stinkst» oder «XY sind alle kriminell».
… jemand in der Strassenbahn nicht neben einer anderen Person sitzen möchte, nur weil sie eine andere Hautfarbe hat.
… jemandem aufgrund seiner «Rasse», Hautfarbe, Sprache oder Religion der Zutritt zu einem Club, einer Bar oder einer anderen Lokalität verweigert wird.
Was ist Antisemitismus?
Der Begriff bezeichnet Einstellungen, Äusserungen und Handlungen, die sich – direkt oder indirekt – gegen (vermeintlich) jüdische Menschen, Institutionen und Einrichtungen richten. Antisemitismus hat unterschiedliche Erscheinungsformen und funktioniert unabhängig vom Verhalten jüdischer Menschen; er ist eine Projektion derjenigen, die antisemitisch eingestellt sind. Im antisemitischen Weltbild wird «den Juden» die Verantwortung für gesellschaftliche Probleme, Konflikte und Ängste zugeschoben. Anders als in von Rassismus geprägten Denkmustern, werden Jud:innen meist als mächtig und überlegen angesehen, als heimliche Herrscher:innen der Welt. Antisemitische Stereotype sind in allen gesellschaftlichen Gruppen verbreitet – selbst unter Menschen, die sich gegen Antisemitismus positionieren.
Antisemitismus ist etwa, wenn
… auf Schulhöfen und in Jugendtreffs «Du Jude» als Schimpfwort benutzt wird.
… jemand sich nicht vorstellen kann, mit Jud:innen befreundet zu sein.
… jüdische Friedhöfe und Mahnmale geschändet oder Synagogen angegriffen werden.
… der demokratische Staat Israel mit Nazi-Deutschland verglichen wird.
… Jud:innen, die sich als solche zu erkennen geben, tätlich angegriffen werden.
Rassismus und Antisemitismus existieren überall – auch an Bildungseinrichtungen und Schulen. Manchmal passieren sie direkt wie in den oben genannten Beispielen, oftmals kommen sie aber auch subtil zum Ausdruck, ohne dass Nichtbetroffene mitbekommen, was passiert. Sogenannter Alltagsrassismus – Diskriminierung und subtil geäusserte Vorurteile – sind für die Betroffenen aber nicht weniger schmerzhaft und einschneidend als offener Rassismus.
Mechanismen erkennen – «Othering»
Doch wie begegnet man den Phänomenen Rassismus und Antisemitismus adäquat? Wie kann der kritische Umgang mit menschenverachtenden Ideologien gefördert werden, ohne diese zu reproduzieren?
Hierbei hilft der Begriff des «Othering»: Er bedeutet, jemand «andern» zum/zur «Anderen» zu machen. Und dies passiert genau dann, wenn «Wir» uns von den vermeintlich «Anderen» abgrenzen. Diese Unterscheidung fusst auf hierarchischem und stereotypem Denken. Während die eigene «Normalität» bestätigt und aufgewertet wird, erscheinen die «Anderen» als weniger tolerant, demokratisch oder gebildet. Othering kann als Vorstufe zum offenen Rassismus betrachtet werden. Wer stets zwischen «uns» und «denen» unterscheidet, ist nicht mehr allzu weit entfernt vom herabsetzen, beleidigen, verunglimpfen oder ausgrenzen.
Othering gibt es auch in Bildungseinrichtungen. Es passiert immer dann, wenn Kinder und Jugendliche auf ihre vermeintliche «andere» kulturelle Zugehörigkeit reduziert werden, wenn man sie nach Klischees und Vorurteilen (auch unbewussten!) beurteilt, anstatt sie nach ihren individuellen Kompetenzen und Einstellungen zu beurteilen. Zum Beispiel «Juden sind leistungsorientiert» (Antisemitismus), «Muslime sind extremistisch eingestellt und frauenverachtend», «Ausländer sind kriminell» (Rassismus). Oft wird eine grundsätzliche «kulturelle Differenz» unhinterfragt vorausgesetzt. Diese Vorannahme ist aber bereits eine Art des Unterscheidens zwischen den Kulturen und kann zu rassistischen oder antisemitischen Ressentiments oder Äusserungen führen.
«Hate Speech»
Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus zeigten sich früher hauptsächlich am Stammtisch oder auf der Strasse. Dies hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert – diskriminierende Äusserungen und hassgetriebene Rhetorik haben sich immer mehr ins Internet verschoben. Hate Speech – so werden verbale Beleidigungen und Verunglimpfungen genannt, die zunehmend über Soziale Medien oder über Blogeinträge und Kommentarspalten von Onlinezeitungen publiziert werden. Die vermeintliche Anonymität im Internet lässt die Hemmschwelle dessen, was gerade noch gesagt werden darf, stark sinken. Problematisch wird dies etwa dann, wenn Äusserungen im Internet zur Diskriminierung, Feindseligkeit und Gewalt gegen Personen und Gruppen aufgrund ihrer «Rasse», Religion, Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht, sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität aufrufen. Hate Speech kann dann auch strafrechtlich relevant sein, denn das Internet ist kein rechtsfreier Raum.
Handeln: mit Zivilcourage gegen Rassismus
Als erstes gehört eine selbstkritische Einstellung zum eigenen Handeln dazu. Neben der Bereitschaft zu Lernprozessen gehört auch die Hinterfragung verinnerlichter Stereotypen dazu. Dafür ist es elementar, die Erfahrungen jener anzuerkennen, die von Rassismus und Antisemitismus betroffen sind. Rassistische und antisemitische Vorurteile müssen erkannt und benannt und Betroffene ernst genommen werden. Als zweiten Schritt werden Gespräche mit allen Beteiligten geführt, Mechanismen aufgezeigt, Klischees und Vorurteile benannt und hinterfragt.
Ein zentraler Punkt in der Bekämpfung von Rassismus und Antisemitismus ist zudem Zivilcourage. Sich für jemanden einzusetzen, der rassistisch oder antisemitisch beleidigt oder gemobbt wird, erfordert Mut, man exponiert sich, setzt sich anderen aus. Sich mit Gleichgesinnten zusammenzutun, um sich gegen die Mobber:innen zu wehren und das Thema auch gegenüber Lehrer:innen und Mitschüler:innen anzusprechen, sind erste Schritte der Zivilcourage.
Prävention
Die GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus und die SET Stiftung Erziehung zur Toleranz fördern die Vermittlung von Grundwerten wie Respekt und Toleranz. Diese Werte bereits Kindern und Jugendlichen zu vermitteln, gehört zu den Schwerpunkten unserer Arbeit. Dazu haben wir diverse Präventions-Tools (mit)entwickelt, die bereits an vielen Schulen zur Anwendung geraten.
Denn: Rassistische und antisemitische Vorfälle kommen auch an Schweizer Schulen immer wieder vor. Schüler:innen werden von ihren Mitschüler:innen – etwa durch die Verwendung von Hassbotschaften oder Symbolen – diskriminiert, gemobbt oder beschimpft. Ein solcher Vorfall kann Schulleitungen, Schulsozialarbeiter:innen und Lehrer:innen überfordern, da sie häufig über keine adäquaten Interventionskonzepte verfügen.
Haben Sie einen solchen Vorfall an Ihrer Schule erlebt? Wurde Ihr Kind Opfer eines solchen Vorfalls? Dann melden Sie sich unter: infogra@gra.ch oder 058 666 89 66.
Fischhof-Preis prämiert zwei Politiker:innen und eine Aktivistin
Bei der diesjährigen Verleihung des Fischhof-Preises wurden erstmals drei Persönlichkeiten gleichzeitig für ihren Einsatz gegen Rassismus und Antisemitismus ausgezeichnet. Die Preisträger:innen sind alt SP-Nationalrat Angelo Barrile, Mitte-Ständerätin Marianne Binder-Keller und Theologin Nicola Neider Ammann. Im Gespräch mit Moderator David Karasek reflektierten sie über ihre Arbeit, ihre Motivation sowie ihre Sorgen und Ängste – doch auch über ihre Hoffnungen, die trotz aller Herausforderungen spürbar waren.
Alt Bundesrat Moritz Leuenberger sprach ebenfalls mit David Karasek und fragte selbstkritisch: «Bin ich vielleicht selbst antisemitisch, ohne es zu merken?» Er machte darauf aufmerksam, wie tief Rassismus und Antisemitismus in der Gesellschaft verankert sind und wie selten diese Mechanismen hinterfragt werden. Bewegende Laudationen von SP-Nationalrätin Priska Seiler Graf, alt SIG-Präsident Herbert Winter und alt Grünen-Nationalrätin Cécile Bühlmann würdigten die Leistungen der Preisträger:innen eindrücklich.
Der Fischhof-Preis setzt auch 2024 ein starkes Zeichen gegen Diskriminierungen aller Art und bietet ein Gegennarrativ zu den Stimmen, die behaupten, das «Böse» sei unaufhaltsam. Die GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus und die GMS Gesellschaft Minderheiten in der Schweiz vergeben den Fischhof-Preis, um denjenigen Personen eine Bühne zu geben, die sich für Gerechtigkeit, Demokratie und Inklusion einsetzen.
Eine fotografische Rückschau finden Sie hier.
Foto: Alain Picard