Staatsfeind / Volksfeind

Der Begriff des Staatsfeindes ist fast so alt wie der Begriff des Staates. In der Regel sind es die Machthaber:innen autoritärer Regime, die ihre – wirklichen oder angeblichen – politischen Gegner:innen als Staatsfeind:innen oder Volksfeind:innen abstempeln (z. B. NS-Deutschland, Sowjetunion unter Stalin). Auch nationalistische Gruppierungen nennen ihre Gegner:innen gerne Staatsfeind:innen und sich selbst «Patriot:innen».

Bereits im alten Rom gab es den Begriff des «hostis rei publicae» (Feind der Republik, des Staates). So bezeichnete der Politiker und Schriftsteller Cicero (106-43 v. Chr.) in seinen Reden Catilina und andere als Staatsfeinde. Als im Jahre 32 v. Chr. Marcus Antonius, der Nachfolger Cäsars, sich mit Kleopatra verband, wurde auch er zum Staatsfeind erklärt. Seither war der Begriff Staatsfeind:in in vielen historischen Epochen gebräuchlich.

Staatsfeind:in ist der Stempel, den eine Staatsmacht ihren tatsächlichen oder behaupteten Gegner:innen aufdrückt; so wird der Staatsfeind:in zum personifizierten Bösen erklärt. In den seltensten Fällen ist aber ein politischer Gegner:innen auch wirklich ein Feind des Staates. Darauf wies 1930 der linke deutsche Publizist Carl von Ossietzky in der Zeitschrift «Die Weltbühne» hin, als er sich gegen ein neues Staatsschutzgesetz wandte: «Das ist eben das Hinterhältige an diesem Gesetzentwurf, dass er abwechselnd mit den Begriffen ‹republikfeindlich› und ‹staatsfeindlich› operiert. Der Sozialist und Kommunist ist weder republik- noch staatsfeindlich, er tritt nur für eine andere Güterverteilung innerhalb des republikanischen Staates ein, und das ist ganz gewiss nicht verboten – ob diese Forderung nun ein Einzelner erhebt oder ob sie eine Klasse zu ihrem vornehmsten Programmsatz erklärt.»

Je autoritärer ein Regime ist, desto eher braucht es die Vorstellung des:der Staatsfeindes:in. Am ausgeprägtesten zeigte sich dies im 20. Jahrhundert in den totalitären Ideologien des nationalsozialistischen Deutschland und der Sowjetunion (hier vor allem während der Stalinzeit). Bereits kurz nach Hitlers Machtübernahme erliess die NS-Regierung am 14. Juli 1933 das «Gesetz über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens», mit dem nach der Kommunistischen auch die Sozialdemokratische Partei enteignet wurde. Am gleichen Tag erklärte ein anderes Gesetz die NSDAP zur einzigen politischen Partei in Deutschland. Für die Nationalsozialist:innen waren Jud:innen Volksfeind:innen und Oppositionelle Staatsfeinde, die es zu vernichten galt. Ähnlich radikal verfuhr die Sowjetunion mit ihren angeblichen Staatsfeind:innen und Volksfeind:innen. Die Verfassung von 1936 schrieb in Artikel 131: «Personen, die sich am gesellschaftlichen sozialistischen Eigentum vergreifen, sind Feinde des Volkes.» In den Schauprozessen der 1930er-Jahre wurden die Angeklagten als Staats- und Volksfeinde denunziert, und Stalin sagte im März 1939 vor dem Parteitag der KPdSU, dass «die Partei die Volksfeinde vernichtet und die Partei- und Sowjetorganisation von entarteten Elementen gesäubert hatte».  

Das Stigma «Staatsfeind» diente zu allen Zeiten in erster Linie der propagandistischen Begleitung von politischen Verfolgungen. Die aggressive Rhetorik half jeweils mit, die Bevölkerung einzuschüchtern. Mit Staatsschutz im engeren Sinn hatte dies wenig zu tun, mit Patriotismus noch weniger. Ein Staatsschutzgesetz braucht den Begriff des Staatsfeindes nicht. Im Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit von 1997 kommt er darum auch nicht vor. Das Gesetz nennt als seinen Zweck: «Dieses Gesetz dient der Sicherung der demokratischen und rechtsstaatlichen Grundlagen der Schweiz sowie dem Schutz der Freiheitsrechte ihrer Bevölkerung.»

Siehe auch die Einträge NationalsozialismusFaschismus und Säuberung.

© GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus, 2015

Glossar
Wir helfen

Vorfall melden

Wurden Sie Zeug:innen eines rassistischen oder antisemitischen Vorfalls oder wurden Sie selbst rassistisch oder antisemitisch beleidigt oder angegriffen?

10.04.2024

Diskriminierungsbericht 2023

Der neuste Bericht der GRA und GMS zum Jahr 2023 ist da.

Aufgrund der Ausweitung der Diskriminierungsstrafnorm Art. 261bis des Strafgesetzbuches (StGB) in den letzten Jahrzehnten, auch im Hinblick auf Diskriminierungen aufgrund der sexuellen Orientierung, wurde der Bericht umbenannt und heisst nunmehr „Diskriminierungsbericht“ anstelle von „Rassismusbericht“.

Die umfassende Analyse der jährlichen Diskriminierungsfälle in der Schweiz 2023 zeigt einen sprunghaften Anstieg der antisemitischen Vorfälle nach dem Angriff der Hamas und dem nachfolgenden Krieg in Gaza. Damit einher geht eine zunehmende Sichtbarkeit von allgemein diskriminierenden Taten und Hassreden. Die insgesamt 98 registrierten Vorfälle im Jahr 2023 stellen eine Zunahme um mehr als die Hälfte im Vergleich zum Vorjahr dar.

Was für Schlüsse daraus zu ziehen sind und welche Konzepte im Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus helfen können sind im vollständigen Bericht inklusive Interview mit Hannan Salamat vom Zürcher Institut für interreligiösen Dialog (ZIID) und der dazugehörigen Medienmitteilung zu finden.

 

Diskriminierungsbericht 2023

Medienmitteilung Diskriminierungsbericht 2023

 

Mehr erfahren
Diskriminierungsbericht 2023
Diskriminierungsbericht 2023
Diskriminierungsbericht 2023
Diskriminierungsbericht 2023
Diskriminierungsbericht 2023