Talmudjude

Weitere Begriffe zum Thema Judentum:

Der Begriff «Talmudjude» wurde von August Rohling 1871 geprägt. Er diffamierte den Talmud als gottlose und die christliche Religion verunglimpfende Schrift und Talmudgelehrte als Menschen, die Christ:innen und alles, was ihnen heilig ist, besudeln.

Der Talmud bildet, zusammen mit der Thora, die Grundlage des Judentums. Er beinhaltet die «mündliche Lehre»: Rabbinische Diskussionen zum jüdischen Religionsgesetz sowie Erzählungen und philosophische Gedanken zu verschiedensten Themen aus mehreren Jahrhunderten. Die einzelnen Abhandlungen sind im dialektischen Stil verfasst. Thesen werden diskutiert, mit Antithesen konfrontiert und schliesslich verworfen oder weiterentwickelt. Die Diffamierungen des Talmud in der Vergangenheit und Gegenwart beruhen zum einen auf falschen Übersetzungen und zum zweiten darauf, dass Aussagen aus dem dialektischen Zusammenhang gerissen werden. So werden debattierte und widerlegte Thesen zu autoritativen Talmudzitaten gemacht.

Genau das machte auch August Rohling (1839-1931), der Professor für alttestamentarische Exegese an den Universitäten Münster und Prag war. In Münster publizierte er 1871 das 125-seitige Pamphlet «Der Talmudjude. Zur Beherzigung für Juden und Christen aller Stände», in dem er nachzuweisen glaubte, dass «… der Jude von Religions wegen befugt ist, alle Nichtjuden auf jede Weise auszubeuten, sie physisch und moralisch zu vernichten». Der Talmud, so Rohling, gestatte den Jud:innen Wucher, Betrug, Diebstahl und Unzucht zu betreiben und Nichtjuden zu töten – unter anderem auch zu rituellen Zwecken. Zahlreiche angesehene zeitgenössische – christliche – Gutachter:innen haben nachgewiesen, dass Rohling gefälschte, verzerrte und aus dem Zusammenhang gerissene Talmudzitate verwendete und dass er nicht in der Lage war, den Talmud im Original zu lesen. Dies hat der Verbreitung seiner antisemitischen Schrift keinen Abbruch getan. Bis 1933 wurde das Machwerk in mindestens 22 Auflagen verbreitet und auch ins Französische und Spanische übersetzt.

Die anti-talmudische Tradition reicht ins Mittelalter zurück. Im Jahre 1241 wurde in Paris der Talmud als häretisch verurteilt. Die Anklagepunkte lauteten, der Talmud messe sich eine grössere Autorität als der Bibel zu, er enthalte Gotteslästerung und Blasphemien gegen Christus und die Jungfrau Maria, predige Hass auf die Christ:innen und stecke voller Irrtümer und Schändlichkeiten. Auf Geheiss eines christlichen Gerichtes wurden ganze Wagenladungen von Talmud-Exemplaren auf Scheiterhaufen verbrannt – weitere Autodafés folgten im Verlaufe der Geschichte. Die Diffamierung des Talmuds gehörte im Mittelalter zum weit verbreiteten Arsenal der Antijudaist:innen. Auch heute noch steht die Verzerrung und Verfälschung von Aussagen im Talmud bei Antisemit:innen hoch im Kurs – in der Schweiz zum Beispiel bei Erwin Kessler vom «Verein gegen Tierfabriken (VgT)».

Die wichtigsten lateinischen Talmud-Übersetzungen entstanden zur Zeit des Pariser Prozesses. Übersetzt wurde der Talmud auszugsweise und nur im Hinblick auf die Anklagepunkte. Als die am weitesten verbreitete Version dieser Übersetzungen gilt der Titel «Pharetra fidei contra Iudeos» (wörtlich etwa: «Der Köcher des Glaubens wider die Juden») aus dem 13. Jahrhundert. In den folgenden Jahrhunderten entstanden mehrere antijüdische Schriften, die auf diesem Titel beruhten. 1700 erschien die erste Auflage des Buches «Entdecktes Judentum», eine Schrift des Heidelberger Orientalisten Johann Andreas Eisenmenger (1654-1704), die auf derselben anti-talmudischen Tradition fusste und aus welcher Rohling die Zitate für seinen «Talmudjuden» bezog.

Siehe auch den Eintrag Thora.

© GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus, 2015

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02.12.2024

Wann wandelt sich Aktivismus in Hate Speech?

Wo endet die Meinungsfreiheit und wo wandelt sich Aktivismus in Hate Speech? In der schweizerischen Rechtspraxis nirgends, wenn man politische Parolen zum Nahostkonflikt betrachtet. Um diesem Sachverhalt nachzugehen, hat die Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus die ehemalige Bundesrichterin und Stiftungsrätin Dr. Vera Rottenberg sowie Mia Mengel, wissenschaftliche Mitarbeiterin der GRA, mit einer rechtlichen Analyse beauftragt.

Im Mittelpunkt der Analyse «From the River to the Sea…», «Intifada bis zum Sieg» keinesfalls strafbar? stehen ebendiese Slogans. Sie wurden nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 verstärkt in der Schweizer Öffentlichkeit verwendet. 

Die beiden Autorinnen argumentieren, dass eine strafrechtliche Relevanz der Parolen – insbesondere im Hinblick auf die Diskriminierungs-Strafnorm Art. 261bis StGB – nicht ausgeschlossen werden könne.

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