Vergasung

Vergasung nannte das nationalsozialistische Regime die Methode, mit der es in den Gaskammern der Vernichtungslager vor allem mit Cyanwasserstoff (Zyklon B) ungefähr 3 Millionen Jud:innen und Zehntausende von Sinti:zze, Rom:nja und anderen Gefangenen umbrachte.

Das nationalsozialistische Regime benutzte ab Januar 1940 Gaskammern, um mit Kohlenstoffmonoxid schwerbehinderte Kinder und später auch Erwachsene umzubringen, die als «lebensunwert» und «Ballastexistenzen» bezeichnet wurden. «Euthanasie» nannte das Regime diese geheimen Tötungen, die in den Akten als «Aktion T4» getarnt wurden. In den sechs NS-Tötungsanstalten starben bis Ende August 1941 rund 70’000 Personen. Danach wurden die Vergasungen gestoppt, weil Gerüchte über das «Euthanasieprogramm» in der Bevölkerung Unruhe ausgelöst hatten.

Im Herbst 1941 begannen die Nationalsozialisten im besetzten Polen und in den eroberten Gebieten der UdSSR, mit mobilen Gaskammern in Lastwagen Jud:innen und sowjetische Kriegsgefangene zu töten. Im Konzentrationslager Chelmno (Kulmhof) wurden mit Motorabgasen bis zum Kriegsende über 150’000 Personen vergast. In den Vernichtungslagern Auschwitz-Birkenau und Treblinka kam ab Frühjahr 1942 das Gas Cyanwasserstoff (HCN) zum Einsatz, das unter dem Namen Zyklon B im Handel war. Der Völkermord an den Jud:innen wurde zu einem grossen Teil mit diesem Giftgas begangen. In den Gaskammern von Auschwitz-Birkenau starben rund eine Million Jud:innen, in etwa gleich viele in Treblinka. In den drei weiteren Vernichtungslagern wurden die Opfer – wie in Chelmno – vor allem mit Autoabgasen vergiftet: So starben in Belzec mehr als eine halbe Million, in Sobibor gegen 200’000 und in Majdanek 60’000 Jud:innen.

Das Giftgas Cyanwasserstoff wurde seit 1926 von der Firma Degesch (Deutsche Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung) unter dem Namen Zyklon B hergestellt und diente ursprünglich zur Abtötung von Ungeziefer («Entwesung») in Schiffen, Kühlräumen und Massenunterkünften. Auch die Konzentrations- und Vernichtungslager benutzten den grössten Teil ihrer Bezüge von Zyklon B zu diesem ursprünglichen Zweck. Da Cyanwasserstoff auf Menschen und Warmblüter in viel kleinerer Dosis tödlich wirkt (4 Kilogramm töten 1000 Menschen), brauchten die Vernichtungslager nur relativ wenig von ihren Giftgas-Rationen für den Massenmord.

Älter als die Gaskammern der Nationalsozialist:innen ist die Redewendung «etwas bis zur Vergasung tun»: Die saloppe Bezeichnung für eine Arbeit bis zum Überdruss war in Deutschland zwischen 1920 und 1930 bei Chemiestudent:innen und bei Angehörigen der Reichswehr gebräuchlich. Sie entstand wohl aus der Erfahrung des Ersten Weltkrieges, in dem erstmals Giftgas zur Massentötung von Menschen zum Einsatz gelangt war (1915 erster deutscher Gasangriff an der belgischen Front bei Ypern). Ab 1924 richteten verschiedene amerikanische Bundesstaaten zum Tode Verurteilte in Gaskammern mit Cyanwasserstoff hin. Der Gebrauch der Redewendung «bis zur Vergasung» war immer problematisch; nach Auschwitz hat «Vergasung» eine Bedeutung bekommen, die das leichtfertige Reden über Vergasen verbietet.

Siehe auch die Stichworte KonzentrationslagerNationalsozialismusGenozidEndlösungHolocaustShoahPorajmos/Völkermord an den Sinti:zze und Rom:nja.

© GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus, 2015

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02.12.2024

Wann wandelt sich Aktivismus in Hate Speech?

Wo endet die Meinungsfreiheit und wo wandelt sich Aktivismus in Hate Speech? In der schweizerischen Rechtspraxis nirgends, wenn man politische Parolen zum Nahostkonflikt betrachtet. Um diesem Sachverhalt nachzugehen, hat die Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus die ehemalige Bundesrichterin und Stiftungsrätin Dr. Vera Rottenberg sowie Mia Mengel, wissenschaftliche Mitarbeiterin der GRA, mit einer rechtlichen Analyse beauftragt.

Im Mittelpunkt der Analyse «From the River to the Sea…», «Intifada bis zum Sieg» keinesfalls strafbar? stehen ebendiese Slogans. Sie wurden nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 verstärkt in der Schweizer Öffentlichkeit verwendet. 

Die beiden Autorinnen argumentieren, dass eine strafrechtliche Relevanz der Parolen – insbesondere im Hinblick auf die Diskriminierungs-Strafnorm Art. 261bis StGB – nicht ausgeschlossen werden könne.

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