Wannseekonferenz

Wannsee-Konferenz nennt die historische Forschung die «Besprechung über die Endlösung der Judenfrage», zu der SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich am 20. Januar 1942 vierzehn hochrangige SS-Offiziere und nationalsozialistische Beamte in eine Villa am Wannsee bei Berlin einlud.
An der Wannsee-Konferenz legte Heydrich die Kompetenzen für den bereits begonnenen Völkermord an den Jud:innen fest.

In den Medien heisst es oft, an der Wannsee-Konferenz vom 20. Januar 1942 sei der Völkermord der Nationalsozialist:innen an den Jud:innen beschlossen worden. Das ist ungenau. Denn der Völkermord an den Jud:innen hatte bereits ein halbes Jahr zuvor begonnen, am 22. Juni 1941 mit dem Angriff der deutschen Truppen auf die Sowjetunion. Bereits in den ersten Tagen des deutschen Einmarsches erschossen SS-Einsatzkommandos systematisch jüdische Zivilpersonen in den neu eroberten Städten und Dörfern. Anfang Dezember 1941 begann die SS im polnischen Konzentrationslager Chelmno Jud:innen mit Abgasen von Lastwagen zu ermorden. Dass die «Endlösung der Judenfrage» die Vernichtung und nicht mehr nur die Vertreibung der Jud:innen bedeuten soll, hatten die Spitzen des NS-Regimes im Frühsommer 1941 beschlossen, und es waren bereits mehrere Hunderttausend jüdische Männer, Frauen und Kinder ermordet worden, als die Wannsee-Konferenz stattfand.

Ziel der Wannsee-Konferenz war es, die begonnene Judenvernichtung besser zu organisieren und die Verantwortung dafür der SS zu übertragen. Zur Konferenz eingeladen hatte SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich, der am 31. Juli 1941 von Reichsmarschall Herrmann Göring ermächtigt worden war, eine «Gesamtlösung der Judenfrage» zu entwerfen. Es war eine kleine, aber hochrangige Gruppe, die im Gästehaus der SS, der Villa Am Grossen Wannsee 56/58, zusammenkam: Mit Heydrich waren es sieben SS-Kaderleute, darunter als Protokollführer Adolf Eichmann, und acht hohe Verwaltungsbeamte (ein Gauleiter, sechs Staatssekretäre, ein Unterstaatssekretär). Diese fünfzehn Männer machten die «Endlösung» zu einem von der SS zentral gesteuerten arbeitsteiligen Völkermord.

Die Konferenz – eigentlich war sie bloss ein Arbeitsmittagessen – verlief in guter Stimmung und dauerte nur etwa anderthalb Stunden, wie Adolf Eichmann 1961 in seinem Prozess in Jerusalem aussagte. Eichmann verfasste anschliessend nach Anweisungen von Heydrich das Protokoll. Auf diesen fünfzehn Seiten wird die Absicht des Völkermords nur verschleiernd genannt – getarnt als «Evakuierung der Juden nach dem Osten». In der Besprechung sei aber ganz konkret über verschiedene Tötungsmethoden diskutiert worden, sagte Eichmann später aus. Im Protokoll wird das Ziel nur angedeutet, wenn es heisst, die Jud:innen sollten «in grossen Arbeitskolonnen» Strassen in die eroberten Ostgebiete bauen, «wobei zweifellos ein Grossteil durch natürliche Verminderung ausfallen wird». Das Protokoll enthält eine Länderliste, auf der 11 Millionen europäische Jud:innen verzeichnet sind. Auch die Schweiz ist aufgeführt, mit 18’000 Jud:innen. Nur das kleine, seit einem halben Jahr von den Deutschen eroberte Estland trägt den Vermerk «judenfrei» – hier hatten die SS-Einsatzkommandos den Genozid bereits vollendet. Ein wichtiges Konferenzziel für Heydrich war auch, festzulegen, was mit den «Mischlingen 1. und 2. Grades» (mit einem jüdischen Eltern- bzw. Grosselternteil) geschehen sollte. Das Protokoll hält detailliert fest: Mischlinge 1. Grades wurden als Jud:innen behandelt und waren ebenfalls zur Vernichtung bestimmt. Mischlinge 2. Grades galten als «Deutschblütige» – ausser sie empfanden sich als Jud:innen oder sahen so aus, wie sich die Nationalsozialist:innen Jud:innen vorstellten. In diesen Fällen sollten auch sie getötet werden.

Siehe auch die Stichworte EndlösungKonzentrationslagerVergasung und Mischling.

© GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus, 2016

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Der Fischhof-Preis setzt auch 2024 ein starkes Zeichen gegen Diskriminierungen aller Art und bietet ein Gegennarrativ zu den Stimmen, die behaupten, das «Böse» sei unaufhaltsam. Die GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus und die GMS Gesellschaft Minderheiten in der Schweiz vergeben den Fischhof-Preis, um denjenigen Personen eine Bühne zu geben, die sich für Gerechtigkeit, Demokratie und Inklusion einsetzen.

Eine fotografische Rückschau finden Sie hier.

Foto: Alain Picard

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