Volk / völkisch

Weitere Begriffe zum Thema Diskriminierung und Verfolgung von Minderheiten:

Im politischen Sinn bedeutet «Volk» dasselbe wie «Nation»: das Kollektiv von Bürger:innen eines Nationalstaates. Im kulturellen Sinn wird «Volk» gleichbedeutend mit «Ethnie» verwendet und bezeichnet eine Einheit von Menschen, die sich über gemeinsame Sprache, Religion, Kultur als zusammengehörig empfinden. Nationalistischen, rassistischen oder völkischen Ideologien liegt eine Vorstellung von «Volk» als Abstammungs- oder Blutsgemeinschaft zugrunde.

Das Wort Volk stammt vom althochdeutschen «folc» (= Haufen, Kriegsschar) und wurde laut Grimm’schen Wörterbuch (1926) bis zur Neuzeit als allgemeiner Ausdruck für Soldat:innen, Truppen, Heer verwendet. Diese Bedeutung hält sich noch heute in Zusammensetzungen wie «Kriegsvolk, Fussvolk». Später wurden Anhäufungen von Menschen, die durch eine Gemeinsamkeit charakterisiert waren und sich von angesehenen Bürger:innen unterschieden, als Volk bezeichnet: Weibervolk, Komödiantenvolk, Diebsvolk etc. In zahlreichen Zusammensetzungen erhielt Volk damit einen abwertenden Sinn und wurde schliesslich zum «gemeinen, gewöhnlichen Volk» in Abgrenzung zur Obrigkeit und zur «Elite». Noch heute wird Volk umgangssprachlich auch in diesem Sinn verwendet.

Durch die Französische Revolution und die Bewegung der Demokratie erhielt der Begriff Volk – wie «Nation» – einen politischen Inhalt: als Kollektiv aller Staatsbürger:innen einer Demokratie (von griechisch «demos» = Volk). So wird der Begriff im staatsrechtlichen Sinn heute gebraucht: das Staatsvolk ist Träger der Volkssouveränität, die Volkspartei oder die Volksrepublik repräsentiert das Volk, und die Volksabstimmung bringt seinen Willen zum Ausdruck.

Im Zuge der deutschen Romantik wurde das Volksgefühl als Gegensatz zum Rationalismus der Aufklärung hochstilisiert. Johann Gottfried Herder (1744-1803) und andere Romantiker:innen nach ihm konzipierten Volk und Völker (nun im Plural) als Kollektivindividuen, die eine eigene Volksseele und einen eigenen Volksgeist besassen. Völker waren in dieser romantischen Vorstellung organische Einheiten, deren Eigenheiten durch die universalistischen Werte der Aufklärung zum Verschwinden gebracht wurden. Dieser Widerstand gegen die universalistische Moderne wurde zum (ungewollten) Ausgangspunkt der totalitären Moderne. Die Vorläufer:innen der Nazis in der völkischen Bewegung stellten das deutsche Volk als überlegene und höherwertige Abstammungs- und Blutgemeinschaft in den Mittelpunkt ihrer ultra-nationalistischen, antisemitischen und rassistischen Politik. Die «völkische Weltanschauung» stand auch im Zentrum der nationalsozialistischen Ideologie. Neonazis, Skins und andere rechtsextreme Gruppierungen verstehen sich noch heute als völkisch. Dieser Begriff ist durch seine Verbindung mit dem Nationalsozialismus und Rassismus diskreditiert und wird nur im Zusammenhang mit den entsprechenden politischen Bewegungen benützt.

Aus der Wissenschaft der Ethnologie (deutsch: Völkerkunde) wurde der Begriff «Ethnie» in den Alltagsgebrauch übernommen und ersetzt hier weitgehend Volk. Eine Ethnie ist eine grosse Gruppe von Menschen, die sich über Gemeinsamkeiten in Kultur, Geschichte und aktuellen Erfahrungen definiert. Wie Völker und Nationen teilen die Mitglieder ethnischer Kollektive zudem oft den Glauben an eine gemeinsame Herkunft. Im Gegensatz zu völkisch ist das Adjektiv «ethnisch» historisch unbelastet.

Siehe auch die Einträge FremdvölkerFührerNation/NationalismusRasse und Säuberung.

© GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus, 2015

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24.03.2025

Lesung und Gespräch zu «Gojnormativität. Warum wir anders über Antisemitismus sprechen müssen.»

Am 8. Mai 2025 sprechen Judith Coffey und Vivien Laumann im Zollhaus Zürich über ihr Buch «Gojnormativität. Warum wir anders über Antisemitismus sprechen müssen».

Im Buch loten die Autorinnen das Verhältnis von Jüdischsein und weiss-Sein aus und gehen der spezifischen Unsichtbarkeit von Juden:Jüdinnen in der Mehrheitsgesellschaft nach. In Anlehnung an das Konzept der Heteronormativität erlaubt «Gojnormativität», Dominanzverhältnisse in der Gesellschaft zu befragen und so ein anderes Sprechen über Antisemitismus zu etablieren.

Das Buch ist eine Aufforderung zu einem bedingungslosen Einbeziehen von Juden:Jüdinnen in intersektionale Diskurse und Politiken und zugleich ein engagiertes Plädoyer für solidarische Bündnisse und Allianzen.

Wann: 8. Mai 2025 um 19:00 Uhr
Wo: Zollhaus Zürich / online mit Livestream
Sprache: Deutsch und Verdolmetschung in Gebärdensprache (auf Anfrage)
Moderation: Prof. Dr. Amir Dziri
In Kooperation mit: ZIID und feministisch*komplex

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