Säuberung

«Säuberung» bezeichnet das Aussondern und Ausstossen von unerwünschten Personen oder Gruppen aus politischen, religiösen oder sozialen Verbänden. Sie kann vom blossen Parteiausschluss bis zur Tötung reichen. Politische «Säuberungen» sind typisch für totalitäre Regime (Stalinismus, NS-Deutschland), aber auch für die Umbruchphase nach deren Sturz. In den Bürgerkriegen nach dem Zerfall des Staates Jugoslawien wurde die «ethnische Säuberung» zum Programm der Vertreibung der gegnerischen Zivilbevölkerung.

Wer von «politischer Säuberung» spricht, überträgt hygienische Konzepte auf soziale Verhältnisse. Besonders totalitäre politische und religiöse Verbände neigen dazu, im Namen der «Reinheit» der Lehre, des Glaubens oder der Ideologie die eigenen Reihen regelmässig nach Abweichler:innen zu durchsuchen. Insofern sind alle Ketzerverfolgungen der christlichen Kirchen im Geiste mit den politischen «Säuberungen» des 20. Jahrhunderts verwandt.

Der enge Zusammenhang zwischen Terror und «Säuberung» zeigte sich bereits in der Französischen Revolution, als der «Wohlfahrtsausschuss» unter Robespierre 1793/94 «La Grande Terreur» entfesselte und Tausende wirklicher und vermeintlicher Gegner:innen seines Regimes hinrichten liess. Im 20. Jahrhundert nannten zuerst die russischen Bolschewist:innen ihren politischen Kampf gegen innere und äussere Feinde «Säuberung». So schrieb Lenin zwei Monate nach der Oktoberrevolution von der «Erreichung des gemeinsamen, einheitlichen Ziels: der Säuberung der russischen Erde von allem Ungeziefer, von den Flöhen – den Gaunern, von den Wanzen – den Reichen». Wer so von seinen Gegner:innen spricht, beabsichtigt ihre physische Vernichtung. Sein Nachfolger Stalin entfesselte ab 1934 die «Grosse Säuberung» (Bolschaja Tschistka), den totalitären Terror gegen die eigene Partei, den Staatsapparat, die Militärführung und die Zivilbevölkerung, dem bis 1939 mehrere Millionen Menschen zum Opfer fielen. Im Kalten Krieg setzten sich diese «Säuberungen» mit Schauprozessen auch in den kommunistischen Staaten Osteuropas und in China fort.

Wie im Stalinismus, so war auch im Nationalsozialismus das Konzept der «Säuberung» eine der Säulen der Politik. Einerseits richtete sie sich gegen politische Gegner:innen, anderseits von Anfang an gegen die Jud:innen. Hitler hatte bereits 1927 im 2. Band von «Mein Kampf» die «Rassenhygiene» zum obersten Ziel des «völkischen Staates» erklärt: «Er hat die Rasse in den Mittelpunkt des allgemeinen Lebens zu stellen. Er hat für ihre Reinerhaltung zu sorgen.» 1935 wurde dieser Gedanke zum Inhalt des «Gesetzes zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre», das Ehen zwischen Jud:innen und Nichtjud:innen verbot. Die Nationalsozialist:innen verfolgten das Konzept der «Säuberung» bis zum Völkermord an den Jud:innen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Begriff der «Säuberung» ganz offiziell von den Siegermächten für die Entnazifizierung der deutschen Verwaltung gebraucht. So gab es etwa in Bayern dafür einen «Minister für politische Säuberung».

In den Bürgerkriegen Jugoslawiens prägten zuerst serbische Politiker:innen den Begriff der «ethnischen Säuberung» und meinten damit 1981 die angebliche Verdrängung der Serb:innen durch die albanische Bevölkerungsmehrheit in der autonomen Teilrepublik Kosovo. Im Bosnienkrieg (1992-95) waren es vor allem serbische Truppen, welche die muslimische und kroatische Zivilbevölkerung vertrieben oder – wie in Srebrenica – ermordeten. Die jeweils gegnerische Seite, aber auch internationale Hilfsorganisationen, klagten dies als «ethnischen Säuberung» an. Die Gesellschaft für deutsche Sprache wählte «ethnische Säuberung» zum Unwort des Jahres 1992. Dennoch hat es sich in den Medien als scheinbar neutraler Sachbegriff für viele ähnliche Kriegsverbrechen (z. B. in Darfur/Sudan) eingebürgert.

Siehe auch die Einträge GenozidEndlösungRassismus und Überfremdung.

© GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus, 2015

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20.11.2024

Fischhof-Preis prämiert zwei Politiker:innen und eine Aktivistin

Bei der diesjährigen Verleihung des Fischhof-Preises wurden erstmals drei Persönlichkeiten gleichzeitig für ihren Einsatz gegen Rassismus und Antisemitismus ausgezeichnet. Die Preisträger:innen sind alt SP-Nationalrat Angelo Barrile, Mitte-Ständerätin Marianne Binder-Keller und Theologin Nicola Neider Ammann. Im Gespräch mit Moderator David Karasek reflektierten sie über ihre Arbeit, ihre Motivation sowie ihre Sorgen und Ängste – doch auch über ihre Hoffnungen, die trotz aller Herausforderungen spürbar waren.  

Alt Bundesrat Moritz Leuenberger sprach ebenfalls mit David Karasek und fragte selbstkritisch: «Bin ich vielleicht selbst antisemitisch, ohne es zu merken?» Er machte darauf aufmerksam, wie tief Rassismus und Antisemitismus in der Gesellschaft verankert sind und wie selten diese Mechanismen hinterfragt werden. Bewegende Laudationen von SP-Nationalrätin Priska Seiler Graf, alt SIG-Präsident Herbert Winter und alt Grünen-Nationalrätin Cécile Bühlmann würdigten die Leistungen der Preisträger:innen eindrücklich. 

Der Fischhof-Preis setzt auch 2024 ein starkes Zeichen gegen Diskriminierungen aller Art und bietet ein Gegennarrativ zu den Stimmen, die behaupten, das «Böse» sei unaufhaltsam. Die GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus und die GMS Gesellschaft Minderheiten in der Schweiz vergeben den Fischhof-Preis, um denjenigen Personen eine Bühne zu geben, die sich für Gerechtigkeit, Demokratie und Inklusion einsetzen.

Eine fotografische Rückschau finden Sie hier.

Foto: Alain Picard

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