Pogrom

Weitere Begriffe zum Thema Diskriminierung und Verfolgung von Minderheiten:

Ein russisch-deutsches Wörterbuch aus dem Jahr 1900 übersetzt das Substantiv «pogróm» noch mit «1. die Verheerung, Verwüstung, Zertrümmerung; 2. das Ungewitter, Donnerwetter, die Hechelei». Das Verb «pogrómliat» bedeutet demnach «verheeren, verwüsten (durch den Krieg), aufs Haupt schlagen (den Feind), zertrümmern». Modernere Wörterbücher nennen oft nur noch eine Bedeutung: «Hetze und blutige Ausschreitungen gegen eine andere Nationalität, besonders gegen Juden». Laut Duden heisst es der oder das Pogrom.

Pogrome wurden in Russland die antijüdischen Ausschreitungen von 1881/82 genannt. Am 13. März 1881 tötete die Untergrundbewegung Narodnaja Volja («Volkswille») in Petersburg Zar Alexander II. mit einer Bombe. In monarchistisch-nationalistischen Kreisen der Elite und des Volkes machte man die Jud:innen für das Attentat verantwortlich – eine grausame Ironie, da Narodnaja Volja selbst eine ausgeprägt antisemitische Ideologie besass. Ab Ostern 1881 flammten in ganz Südrussland antijüdische Ausschreitungen auf, die sich bis 1882 hinzogen und sich auf die nördlichen und baltischen Teile Russlands ausdehnten. Mit Unterstützung der Behörden – namentlich der 1881 gegründeten Geheimpolizei Ochrana – zogen Banden und aufgeputschte Bürger:innen prügelnd, raubend und mordend durch jüdische Quartiere. Der Pogrom löste die erste grosse Auswanderungswelle russischer Jud:innen nach Amerika aus. Nach der ersten Russischen Revolution von 1905 wurden wieder die Jud:innen pauschal als Drahtzieher:innen denunziert. Die antisemitische Gruppe «Schwarzes Hundert» klebte in Petersburg und anderen Städten Plakate mit dem Aufruf: «Nieder mit den Juden, nieder mit der Intelligenz, es sind Feinde der Regierung! Brüder, habt kein Erbarmen, schlagt sie alle nieder, im Namen Gottes und des Zaren.» Nach ersten Pogromen in Westrussland folgten im Süden, in Odessa und 70 anderen Städten, die schwersten Massaker an Jud:innen. Von da an war der Begriff Pogrom auch in Westeuropa und im deutschen Sprachraum bekannt. Den Tatbestand allerdings kannte man aus der eigenen Geschichte als «Judenhetze».

Bis nach dem Zweiten Weltkrieg bezeichnete Pogrom die Verfolgung und Ermordung von Jud:innen. Die Geschichte der Jud:innen im Dritten Reich hatte gezeigt, wie fliessend der Übergang vom Pogrom zum Völkermord ist. Auch der Holocaust begann mit Pogromen, «spontanen» (in Wirklichkeit aber von der NSDAP gesteuerten) Ausschreitungen gegen die Jud:innen. Sie begannen mit Plünderungen jüdischer Geschäfte durch die SA ab Ende Februar 1933, führten zum reichsweiten «Judenboykott» vom 1. April 1933 und erreichten einen ersten Höhepunkt mit den Brandstiftungen und Tötungen der sogenannten «Reichskristallnacht» vom 9. November 1938. Da «Reichskristallnacht» eine nationalsozialistische Wortschöpfung ist, ziehen viele heute die Bezeichnung «Reichspogromnacht» oder «Pogromnacht» vor.

Im heutigen Sprachgebrauch hat Pogrom eine erweiterte Bedeutung: Er bezeichnet jede Art von kollektivem Angriff auf eine ethnische oder religiöse Minderheit. Zu Pogromen kam es z. B. 2008 in Südafrika (gegen afrikanische Ausländer:innen) oder 2010 in Kirgisien (gegen Usbek:innen).

Siehe auch die Einträge ReichskristallnachtAntisemitismusProtokolle der Weisen von ZionNationalsozialismus und Genozid.

© GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus, 2015

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20.11.2024

Fischhof-Preis prämiert zwei Politiker:innen und eine Aktivistin

Bei der diesjährigen Verleihung des Fischhof-Preises wurden erstmals drei Persönlichkeiten gleichzeitig für ihren Einsatz gegen Rassismus und Antisemitismus ausgezeichnet. Die Preisträger:innen sind alt SP-Nationalrat Angelo Barrile, Mitte-Ständerätin Marianne Binder-Keller und Theologin Nicola Neider Ammann. Im Gespräch mit Moderator David Karasek reflektierten sie über ihre Arbeit, ihre Motivation sowie ihre Sorgen und Ängste – doch auch über ihre Hoffnungen, die trotz aller Herausforderungen spürbar waren.  

Alt Bundesrat Moritz Leuenberger sprach ebenfalls mit David Karasek und fragte selbstkritisch: «Bin ich vielleicht selbst antisemitisch, ohne es zu merken?» Er machte darauf aufmerksam, wie tief Rassismus und Antisemitismus in der Gesellschaft verankert sind und wie selten diese Mechanismen hinterfragt werden. Bewegende Laudationen von SP-Nationalrätin Priska Seiler Graf, alt SIG-Präsident Herbert Winter und alt Grünen-Nationalrätin Cécile Bühlmann würdigten die Leistungen der Preisträger:innen eindrücklich. 

Der Fischhof-Preis setzt auch 2024 ein starkes Zeichen gegen Diskriminierungen aller Art und bietet ein Gegennarrativ zu den Stimmen, die behaupten, das «Böse» sei unaufhaltsam. Die GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus und die GMS Gesellschaft Minderheiten in der Schweiz vergeben den Fischhof-Preis, um denjenigen Personen eine Bühne zu geben, die sich für Gerechtigkeit, Demokratie und Inklusion einsetzen.

Eine fotografische Rückschau finden Sie hier.

Foto: Alain Picard

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