Ostküstenjuden

Der Begriff «Ostküstenjuden» steht in zahlreichen Verschwörungserzählungen für die vermeintliche jüdische Allmacht in der Finanzwelt.  

Das Vorurteil, dass Jud:innen durch Geldhandel die Welt beherrschen würden, reicht viele Jahrhunderte zurück und nährt sich von früheren politischen und ökonomischen Gegebenheiten. Seit dem 4. Jahrhundert galt zunächst für Geistliche und später für alle Christ:innen ein Zinsverbot. Da der Geldverleih gegen Zinsen als ein Gewinn ohne Arbeit und als schädlicher, jedoch notwendiger Teil des wirtschaftlichen Lebens angesehen wurde, überliess man diese Tätigkeit den Jud:innen. Gleichzeitig waren Zünfte und somit die Berufe der Handwerker für die Jud:innen verschlossen. Auch durften sie keine Landgüter besitzen. So wurde der Kleinhandel und Geldverleih notgedrungen zu einer ihrer Haupttätigkeiten.

Der 30-Jährige Krieg führte in Europa zur Zerstörung der soziopolitischen Stabilität, sodass auch überregionale wirtschaftliche Verbindungen wegfielen. In diesem Zeitraum wandte sich der Kaiser in Wien daher an die Jud:innen, um seine Armeen im Krieg zu finanzieren und erfand dafür die Position des «Hofjuden». Im 17. und 18. Jahrhundert etablierten sich «Hofjuden» oder auch Hoffaktoren in deutschsprachigen Ländern. Neben dem Geldverleih lag ihre Aufgabe nun auch darin, Waren zu beschaffen, Kredite zu vermitteln, Münzen herzustellen, aber auch diplomatische Dienste zu verrichten.

Aufgrund dieser Spezialisierung der Jud:innen im Geldhandel etablierten sie sich über die Jahrhunderte in dieser beruflichen Tätigkeit (siehe beispielsweise Familie Rothschild). Basierend auf dieser Spezialisierung in der Finanzbranche, entstand im 19. Jahrhundert das Gerücht einer jüdischen Weltverschwörung. Mit dem Aufstieg des Kapitalismus wurde die Dominanz jüdischer Familien im Finanzwesen zunehmend als Gefahr empfunden. In Krisenzeiten wurden Jud:innen daher immer öfter als Drahtzieher:innen für die herrschende Notlage vermutet, die einen eigenen Vorteil aus den wirtschaftlichen Umbrüchen ziehen.

Besonders mit dem Börsenkrach von 1873 gewann das Sinnbild der Jud:innen als finanzielle Dämonen immer mehr an Gestalt. Während das System der Börsenspekulation verschont wurde, suchte man eifrig nach Schuldigen und schrieb die Misere den «Bank- oder Börsenjuden» zu. In den darauffolgenden Jahren erschienen zahlreiche Schriften, in denen die Übermacht der Jud:innen im Börsengeschäft und Finanzwesen attestiert wurde. So heisst es beispielsweise im Vorwort zum Drama «Aktien» (1873) von Otto Glagau «Die Gründer und Börsianer waren überwiegend, zu mehr als 90 Prozent Juden». Ähnlich behauptete der Banken- und Börsenmakler Emil Richter in seiner Schrift «Die Frankfurter Juden und die Aufsaugung des Volkswohlstandes» (1880) man könne «also das Börsengeschäft als ein völlig jüdisches bezeichnen».

Die Idee einer vermeintlichen Überpräsenz von Jud:innen im weltweiten Finanzwesen hält sich nach wie vor. Der Begriff «Ostküstenjuden» vereint diese Vorstellung mit der Lage der politischen Hauptstadt sowie der wichtigen Finanz- und Kulturzentren an der Ostküste der USA. Dabei steht er als Sinnbild für die angebliche jüdische Allmacht der Finanzwelt.

© GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus, 2021, unter Mitarbeit von Dr. phil. Darja Pisetzki, ehem. Projektmitarbeiterin der GRA.

Weiterführende Literaturhinweise:

Matthew Lange: Bankjuden, in: Wolfgang Benz (Hrsg.): Handbuch des Antisemitismus. Band 3: Begriffe, Ideologien, Theorien. De Gruyter Saur, Berlin 2008, S. 40-42.

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02.12.2024

Wann wandelt sich Aktivismus in Hate Speech?

Wo endet die Meinungsfreiheit und wo wandelt sich Aktivismus in Hate Speech? In der schweizerischen Rechtspraxis nirgends, wenn man politische Parolen zum Nahostkonflikt betrachtet. Um diesem Sachverhalt nachzugehen, hat die Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus die ehemalige Bundesrichterin und Stiftungsrätin Dr. Vera Rottenberg sowie Mia Mengel, wissenschaftliche Mitarbeiterin der GRA, mit einer rechtlichen Analyse beauftragt.

Im Mittelpunkt der Analyse «From the River to the Sea…», «Intifada bis zum Sieg» keinesfalls strafbar? stehen ebendiese Slogans. Sie wurden nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 verstärkt in der Schweizer Öffentlichkeit verwendet. 

Die beiden Autorinnen argumentieren, dass eine strafrechtliche Relevanz der Parolen – insbesondere im Hinblick auf die Diskriminierungs-Strafnorm Art. 261bis StGB – nicht ausgeschlossen werden könne.

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