Orthodox / Ultraorthodox

Weitere Begriffe zum Thema Judentum:

Das Wort orthodox stammt aus dem Griechischen und ist eine Zusammensetzung von «orthós» (= gerade, aufrecht, richtig) und «dóxa» (= Meinung, Glaube, Lehre). Orthodox ist eine Selbstbezeichnung für strenggläubige Jud:innen. Als ultraorthodox werden jene Gemeinschaften orthodoxer Jud:innen bezeichnet, die sich von der modernen Welt abschirmen.

Im christlichen Kontext bezeichnet orthodox die Zugehörigkeit zu einer Kirche des byzantinischen Ritus. Im islamischen Kontext wird der Begriff nicht verwendet.

Das heutige religiöse Judentum kennt drei grosse Strömungen: das orthodoxe, das konservative und das liberale Judentum. Für das orthodoxe Judentum hat die strikte Einhaltung der religiösen Pflichten und Gebote oberste Priorität. Die schriftliche und mündliche Lehre («Thora») sowie das daraus folgende Religionsgesetz («Halacha») gelten als göttliche Offenbarung und dürfen in keiner Weise verändert werden. Während Liberale und Konservative Rabbinerinnen kennen und Frauen in ihren Gottesdiensten gleichberechtigt sind, ist dies in orthodoxen Gemeinden undenkbar. Hier sind nur Männer aktiv am Gottesdienst beteiligt und religiöse Funktionen sind ihnen vorbehalten. Für orthodoxe Jud:innen gelten gemäss Halacha nur jene Personen als jüdisch, die von einer jüdischen Mutter abstammen oder nach orthodoxen Regeln zum Judentum übertreten. Liberale anerkennen auch Kinder eines jüdischen Vaters und einer nicht jüdischen Mutter als Jud:innen.

Die Orthodoxie ist in ihrer Haltung zur modernen Umwelt gespalten: Chassidische und ultraorthodoxe Gemeinschaften sondern sich von weltlicher Kultur streng ab. Es gibt in der Schweiz einige hundert ultraorthodoxe Jud:innen, die aufgrund ihrer Kleidernormen äusserlich erkennbar sind. Nicht chassidische und moderatere Strömungen verbinden strikte Glaubenstreue mit (unterschiedlichen Graden) der Öffnung zu moderner Kultur. Etwa 2000 jüdische Menschen in der Schweiz sind religiös praktizierend und in unterschiedlichen Graden orthodox.

Als eigenständiges Phänomen entstand das organisierte orthodoxe Judentum als Antwort auf die Säkularisierung und das Reformjudentum Anfang des 19. Jahrhunderts, vor allem in Deutschland und Ungarn. Bis zur Moderne spielte sich das religiöse Leben der Jud:innen in engen Grenzen ab. In den Ghettos und den Schtetl war die soziale Kontrolle gross und die Befolgung der religiösen Gesetze die Regel. Mit dem Eintritt der Jud:innen in die nicht jüdische Gesellschaft begannen Prozesse der Säkularisierung und der Liberalisierung. In diesem Zusammenhang formierten sich strenggläubige Juden:Jüdinnen zu orthodoxen Gemeinden. Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden in Deutschland «Austrittsgemeinden», die sich von den Einheitsgemeinden trennten, welche die unterschiedlichen Strömungen unter einem Dach vereinten. Ihr geistiger Mentor war Samson Raphael Hirsch, Rabbiner der Austrittsgemeinde in Frankfurt am Main. Die Bewegung der Austrittsgemeinden verband strikte religiöse Praxis mit einer gewissen Offenheit gegenüber der bildungsbürgerlichen Kultur: Sie akzeptierte Deutsch als Kultursprache, die Erziehung in weltlichen Dingen und eine Anpassung ihres Äusseren (abschneiden der Schläfenlocken, Rasur, bürgerliche Kleidung) an die nicht jüdische Umwelt. Sie blieb aber strikt gegen jegliche Zusammenarbeit mit dem Reformjudentum und mit säkularen Jud:innen. Parallel zum Erstarken liberaler jüdischer Strömungen (vor allem in den USA) ist in den letzten Jahrzehnten eine zunehmende Fundamentalisierung und Abschottung vieler orthodoxer Gemeinden zu beobachten.

Siehe auch die Einträge GhettoJude/JüdinJüdische SchweizerLiberales JudentumShtetl und Thora.

© GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus, 2015

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20.11.2024

Fischhof-Preis prämiert zwei Politiker:innen und eine Aktivistin

Bei der diesjährigen Verleihung des Fischhof-Preises wurden erstmals drei Persönlichkeiten gleichzeitig für ihren Einsatz gegen Rassismus und Antisemitismus ausgezeichnet. Die Preisträger:innen sind alt SP-Nationalrat Angelo Barrile, Mitte-Ständerätin Marianne Binder-Keller und Theologin Nicola Neider Ammann. Im Gespräch mit Moderator David Karasek reflektierten sie über ihre Arbeit, ihre Motivation sowie ihre Sorgen und Ängste – doch auch über ihre Hoffnungen, die trotz aller Herausforderungen spürbar waren.  

Alt Bundesrat Moritz Leuenberger sprach ebenfalls mit David Karasek und fragte selbstkritisch: «Bin ich vielleicht selbst antisemitisch, ohne es zu merken?» Er machte darauf aufmerksam, wie tief Rassismus und Antisemitismus in der Gesellschaft verankert sind und wie selten diese Mechanismen hinterfragt werden. Bewegende Laudationen von SP-Nationalrätin Priska Seiler Graf, alt SIG-Präsident Herbert Winter und alt Grünen-Nationalrätin Cécile Bühlmann würdigten die Leistungen der Preisträger:innen eindrücklich. 

Der Fischhof-Preis setzt auch 2024 ein starkes Zeichen gegen Diskriminierungen aller Art und bietet ein Gegennarrativ zu den Stimmen, die behaupten, das «Böse» sei unaufhaltsam. Die GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus und die GMS Gesellschaft Minderheiten in der Schweiz vergeben den Fischhof-Preis, um denjenigen Personen eine Bühne zu geben, die sich für Gerechtigkeit, Demokratie und Inklusion einsetzen.

Eine fotografische Rückschau finden Sie hier.

Foto: Alain Picard

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