Kosmopolit

Kosmopolit:in heisst auf Griechisch Weltbürger:in («kosmos» = Weltordnung, Welt; «politês» = Bürger). Zur Zeit der Aufklärung kam Kosmopolit:in als positiv besetztes Lehnwort in die deutsche Sprache. Im Gegensatz dazu war «Kosmopolitismus» in der Sowjetunion unter Stalin die Beschuldigung gegen Jud:innen, denen das Regime eine «antisozialistische Verschwörung» vorwarf.

In der Philosophie der griechischen Antike entwickelte sich von Sokrates ausgehend die Idee des Kosmopoliten, des Individuums als Weltbürger:in. Daraus leiteten die Stoiker:innen ethische Grundsätze ab, wie sich der Mensch in der Welt verhalten soll.

In der deutschen Sprache erschien die Übersetzung «Weltbürger:in» erstmals 1662 in einem philosophischen Werk im Zusammenhang mit Sokrates. In der Aufklärung des 18. Jahrhunderts bekam der Gedanke des Kosmopolitismus Aufschwung. 1741/42 erschien in Berlin die Zeitschrift «Der Weltbürger». Und 1747 benutzte Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) in seinem Lustspiel «Der junge Gelehrte» erstmals das Fremdwort Kosmopolit:in. Er lässt seinen Helden Damis im Überschwang ausrufen: «Was geht uns Gelehrten Sachsen, was Deutschland, was Europa an? Ein Gelehrter, wie ich bin, ist für die ganze Welt; er ist ein Kosmopolit; er ist eine Sonne, die den ganzen Erdball erleuchten muss –» («Der junge Gelehrte», 2. Akt, 4. Auftritt). Lessing, Wieland, Herder und Kant («Zum ewigen Frieden», 1795) waren in Deutschland führende Theoretiker des aufklärerischen Kosmopolitismus.

Eine ganz andere Bedeutung bekam «Kosmopolit:in» in der Sowjetunion zur Spätzeit des Stalinismus: Ab 1949 wurde «Kosmopolitismus» eine gegen Jud:innen gerichtete Anschuldigung des Landesverrats. Die antisemitische Kampagne gipfelte im Januar 1953 in der «Aufdeckung» einer angeblichen «Ärzteverschwörung». Hunderte meist jüdische Ärzt:innen wurden verhaftet und angeschuldigt, sie hätten Stalin und die Sowjetführung umbringen wollen. Nur der Tod von Stalin am 5. März 1953 verhinderte neue Schauprozesse wie in den Dreissigerjahren. Die Anklagen gegen die Ärzt:innen wurden im April 1953 zurückgezogen.

Stalin hatte im Dezember 1952 vor dem Politbüro gesagt: «Jeder jüdische Nationalist ist ein Agent des amerikanischen Geheimdienstes.» Indem das stalinistische Regime die Anschuldigung «wurzelloser Kosmopolit» gegen Jud:innen verwendete, belebte es alte antisemitische Klischees, die den «vaterlandslosen» Jud:innen Illoyalität und Verschwörungspläne andichteten. Die gleichen Klischees waren auch Bestandteil der antisemitischen Propaganda der Nationalsozialist:innen.

Siehe auch die Stichworte Antisemitismus und ewiger Jude.

© GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus, 2015

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20.11.2024

Fischhof-Preis prämiert zwei Politiker:innen und eine Aktivistin

Bei der diesjährigen Verleihung des Fischhof-Preises wurden erstmals drei Persönlichkeiten gleichzeitig für ihren Einsatz gegen Rassismus und Antisemitismus ausgezeichnet. Die Preisträger:innen sind alt SP-Nationalrat Angelo Barrile, Mitte-Ständerätin Marianne Binder-Keller und Theologin Nicola Neider Ammann. Im Gespräch mit Moderator David Karasek reflektierten sie über ihre Arbeit, ihre Motivation sowie ihre Sorgen und Ängste – doch auch über ihre Hoffnungen, die trotz aller Herausforderungen spürbar waren.  

Alt Bundesrat Moritz Leuenberger sprach ebenfalls mit David Karasek und fragte selbstkritisch: «Bin ich vielleicht selbst antisemitisch, ohne es zu merken?» Er machte darauf aufmerksam, wie tief Rassismus und Antisemitismus in der Gesellschaft verankert sind und wie selten diese Mechanismen hinterfragt werden. Bewegende Laudationen von SP-Nationalrätin Priska Seiler Graf, alt SIG-Präsident Herbert Winter und alt Grünen-Nationalrätin Cécile Bühlmann würdigten die Leistungen der Preisträger:innen eindrücklich. 

Der Fischhof-Preis setzt auch 2024 ein starkes Zeichen gegen Diskriminierungen aller Art und bietet ein Gegennarrativ zu den Stimmen, die behaupten, das «Böse» sei unaufhaltsam. Die GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus und die GMS Gesellschaft Minderheiten in der Schweiz vergeben den Fischhof-Preis, um denjenigen Personen eine Bühne zu geben, die sich für Gerechtigkeit, Demokratie und Inklusion einsetzen.

Eine fotografische Rückschau finden Sie hier.

Foto: Alain Picard

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