J-Stempel

Der J-Stempel wurde auf Anregung der Schweiz und Schwedens im Oktober 1938 eingeführt und war ein eingetragener Sichtvermerk in den Reisepässen «nichtarischer» deutscher oder ehemals österreichischer Staatsbürger:innen. Die Grenzbeamt:innen des Einreiselandes konnten aufgrund des Stempels die vermeintlich «problematischen» Reisenden sofort erkennen und die Ausreise aus dem deutschen Rechtsbereich nur unter bestimmten Bedingungen, wie Weiterreisemöglichkeiten und finanzielle Mittel für die Lebenskosten, gestatten. 

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde der J-Stempel als eine Geheimaktion unter Polizeibeamt:innen interpretiert. Jedoch entspricht dies nicht der Wahrheit, denn zur damaligen Zeit, zur Zeit der Einführung des Stempels, war dieser eine durchaus bekannte Massnahme. Davon zeugen beispielsweise die öffentliche Kritik des sozialdemokratischen Nationalrats und damaligen Stadtpräsidenten Guido Müller im Parlament im Jahre 1938. In seiner Rede vom 7. Dezember 1938 kritisierte er die Massnahme mit den Worten: «Es wird vielleicht nicht mehr allzu lange dauern, bis man ihnen diese Kennzeichnung auf den Leib brennt. Bereits ist die Rede, die Opfer des nazistischen Rassenirrsinns zum mindesten durch einen gelben Fleck im Gesicht zu zeichnen und so der Missachtung preiszugeben.» Nationalrat Walther Bringolf hingegen billigte die Einführung des Stempels und somit die schweizerischen Sonderbedingungen für deutsche „Nichtarier:innen“ ausdrücklich, als diese am 8. Mai 1939 in der Geschäftsprüfungskommission besprochen wurde. Zudem wies er den aufkommenden Vorwurf zurück, die Eidgenössische Fremdenpolizei sei antisemitisch eingestellt.

Erhalten gebliebene Dokumente zeigen, dass die Kennzeichnung «J» im innerschweizerischen Gebrauch bereits vor der offiziellen Einführung 1938 in Gebrauch war. Vereinzelt finden sich Formulare für Aufenthaltsbewilligungen und Einbürgerungsgesuche, auf denen handschriftlich oder mit einem Stempel ein «J» versehen wurde. Der älteste Beleg für diese Kennzeichnung stammt aus dem Jahr 1916.

Mit der Vereinbarung vom September 1938 stimmte die Schweiz gleichzeitig der grundsätzlichen Reproduktionsklausel zu, welche die Verwendung des J-Stempels auch für Schweizer Pässe beschloss. Damit brachte die Schweiz die Bereitschaft zum Ausdruck, jüdische Bürger:innen der Schweiz der Diskriminierung auszusetzen. Eine grosse Anzahl an Dokumenten, die den J-Stempel aufweisen, liegen im Schweizerischen Bundesarchiv in den Beständen des Justiz – und Polizeidepartements. Nachdem deutsche Jud:innen im Ausland durch die Verordnung vom 25. November 1941 staatenlos wurden und ein anderes Dokument erhalten hatten, zog das Justiz – und Polizeidepartement die Pässe ein und tauschte diese aus.

Mit dem Kriegsende erschuf die Schweiz für sich selbst ein Bild der «Neutralität», was eine Aufarbeitung der eigenen Verstrickungen in die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs behinderte. Die Konfrontation mit dem «J-Stempel» führte in der Nachkriegszeit dazu, dass 1954 ein umfassender Bericht über die Flüchtlingspolitik der Jahre 1933-1945 in Auftrag gegeben wurde. Dennoch wurde die eigene Mitverantwortung über Jahrzehnte hinweg bestritten. Erst durch die erzwungene Auseinandersetzung mit sogenannten nachrichtenlosen Konten von Holocaust-Opfern wurde eine nachhaltige Diskussion über die eigene Rolle im Zweiten Weltkrieg in Gang gesetzt, die jedoch nicht ohne Gegenwehr verlief. Noch 2007 wurde die Mär von einer «Geschichtsverfälschung» in Bezug auf den «J-Stempel» verbreitet. Dennoch liess sich die Kennzeichnung nicht aus dem historischen Bewusstsein verbannen.

Siehe auch die Beiträge zu «Schweizer Flüchtlingspolitik während des Zweiten Weltkrieges» und «Bergier Kommission».

© GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus, 2022, unter Mitarbeit von Dr. phil. Darja Pisetzki, ehem. Projektmitarbeiterin der GRA.

Weiterführende Literaturhinweise:

Max Keller, 1938-1945-1995-1997-1998. Das Ende der J-Stempel-Saga. Fallbeispiel von Geschichtsprägung durch Medienmacht, Bern 1999.

Georg Kreis, Die Rückkehr des J-Stempels. Zur Geschichte einer schwierigen Vergangenheitsbewältigung, Zürich 2000.

Georg Kreis, Der Pass mit dem Judenstempel. Eine Familiengeschichte in einem Stück Weltgeschichte 1925-1975, München 2001.

Carl Ludwig, Die Flüchtlingspolitik der Schweiz seit 1933 bis zur Gegenwart, Bern 1957 (Neuauflage 1997).

 

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Bei der diesjährigen Verleihung des Fischhof-Preises wurden erstmals drei Persönlichkeiten gleichzeitig für ihren Einsatz gegen Rassismus und Antisemitismus ausgezeichnet. Die Preisträger:innen sind alt SP-Nationalrat Angelo Barrile, Mitte-Ständerätin Marianne Binder-Keller und Theologin Nicola Neider Ammann. Im Gespräch mit Moderator David Karasek reflektierten sie über ihre Arbeit, ihre Motivation sowie ihre Sorgen und Ängste – doch auch über ihre Hoffnungen, die trotz aller Herausforderungen spürbar waren.  

Alt Bundesrat Moritz Leuenberger sprach ebenfalls mit David Karasek und fragte selbstkritisch: «Bin ich vielleicht selbst antisemitisch, ohne es zu merken?» Er machte darauf aufmerksam, wie tief Rassismus und Antisemitismus in der Gesellschaft verankert sind und wie selten diese Mechanismen hinterfragt werden. Bewegende Laudationen von SP-Nationalrätin Priska Seiler Graf, alt SIG-Präsident Herbert Winter und alt Grünen-Nationalrätin Cécile Bühlmann würdigten die Leistungen der Preisträger:innen eindrücklich. 

Der Fischhof-Preis setzt auch 2024 ein starkes Zeichen gegen Diskriminierungen aller Art und bietet ein Gegennarrativ zu den Stimmen, die behaupten, das «Böse» sei unaufhaltsam. Die GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus und die GMS Gesellschaft Minderheiten in der Schweiz vergeben den Fischhof-Preis, um denjenigen Personen eine Bühne zu geben, die sich für Gerechtigkeit, Demokratie und Inklusion einsetzen.

Eine fotografische Rückschau finden Sie hier.

Foto: Alain Picard

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