Fremdvölker

Weitere Begriffe zum Thema Diskriminierung und Verfolgung von Minderheiten:

Als «Fremdvölker» bezeichneten die Nationalsozialist:innen Menschen, die sie kollektiv als «rassisch minderwertig» oder «artfremd» betrachteten und verfolgten. In erster Linie waren es die Jud:innen, danach die Sinti:zze und Rom:nja und die slawischen Völker (Pol:innen, Ukrainer:innen, Russ:innen etc.). In ähnlich rassistisch-polemischer Weise wird Fremdvölker heute von Rechtsradikalen gebraucht.

Der Begriff «Fremdvölker» wurde nicht von den Nationalsozialist:innen erfunden. «Fremdvölker» nannte die deutsche Geschichtswissenschaft die «barbarischen» Nachbarvölker der alten Griech:innen und Römer:innen. Ähnlich brauchten manche deutsche Historiker:innen den Begriff für die nichtrussischen Völker im Russischen Zarenreich (z.B. die Völker des Kaukasus). Deutsche Theolog:innen sprachen von «Fremdvölkern», wo in den Bibelübersetzungen von «Heiden» die Rede ist oder wo die Völker mit Namen genannt werden, so im «Gericht über die Völker» in Jesaja 13-23 (Babylonier:innen, Assyrer:innen, Äthiopier:innen, Ägypter:innen etc.).

Mit der Rassenideologie der Nationalsozialist:innen bekam «Fremdvölker» eine aggressiv abwertende Bedeutung. Adolf Hitler schrieb in «Mein Kampf» über die «völkische Weltanschauung»: «Sie glaubt somit keineswegs an eine Gleichheit der Rassen, sondern erkennt mit ihrer Verschiedenheit auch ihren höheren und minderen Wert und fühlt sich durch ihre Erkenntnis verpflichtet, gemäss dem ewigen Wollen, das dieses Universum beherrscht, den Sieg des Besseren, Stärkeren zu fördern, die Unterordnung des Schlechteren und Schwächeren zu verlangen» (S. 421).
Aus dieser Haltung unterschied die nationalsozialistische Rechtswissenschaft drei Kategorien von Menschen: «Einmal die Träger deutschen Volkstums, also diejenigen, die zur deutschen Blutsgemeinschaft gehören; zweitens die Angehörigen fremden, doch artverwandten Volkstums, etwa Dänen oder Franzosen; und endlich die Rassefremden, insbesondere die Juden» (Georg Dahm, Deutsches Recht, Hamburg 1944, S. 346).

Der Nationalsozialismus erklärte die Jud:innen zum Hauptfeind, zum exemplarischen Fremdvolk. Daneben gab es für die Nazis noch andere «fremdvölkische» Minderheiten in Deutschland: die «Z*******» (Sinti:zze und Rom:nja) und die «N****mischlinge» (Deutsche mit einem afrikanischen Elternteil). Nach dem Kriegsbeginn und der Eroberung von Polen gerieten weitere Völker unter die Herrschaft der Deutschen, welche die NS-Ideologie als minderwertige «Fremdvölker» einstufte. Zwar versuchte der NS-Staat 1941 mit der «Deutschen Volksliste» gewisse Teile der polnischen Bevölkerung, die als «eindeutschungsfähig» beurteilt wurden, als Deutsche zu registrieren. Doch der grosse Teil der Pol:innen galt als Fremdvolk und wurde für staatenlos erklärt. Mit dem Eroberungskrieg gegen die Sowjetunion wurden auch Russ:innen und Ukrainer:innen als «Fremdvölker» behandelt. Sie waren rechtlich in fast allen Belangen schlechter gestellt und mussten schon bei geringfügigen Anklagen mit der Höchststrafe, dem Tod, rechnen. Die nationalsozialistische Politik gegenüber «Fremdvölkern» führte direkt zum Völkermord an den europäischen Jud:innen und an den Sinti:zze und Rom:nja.

In den vergangenen Jahren waren es vor allem rechtsradikale und neonazistische Parteien und Organisationen wie etwa die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD), die den Begriff «Fremdvölker» brauchten, um Fremdenhass gegen Migrant:innen – z. B. aus der Türkei, aus Osteuropa oder Afrika – zu schüren. In der Schweiz schrieb Anfang Dezember 2009 der Präsident der Jungen SVP Luzern im Bulletin des Parteiunabhängigen Informationskomitees PICOM von «Tausenden von Fremdvölkern», die in die Schweiz strömten (siehe Eintrag in der GRA-Chronologie: «Aarau, Anfang Dezember 2009»).

Siehe auch die Begriffe NationalsozialismusEndlösungRassismus und Volk/völkisch.

© GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus, 2015

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24.03.2025

Lesung und Gespräch zu «Gojnormativität. Warum wir anders über Antisemitismus sprechen müssen.»

Am 8. Mai 2025 sprechen Judith Coffey und Vivien Laumann im Zollhaus Zürich über ihr Buch «Gojnormativität. Warum wir anders über Antisemitismus sprechen müssen».

Im Buch loten die Autorinnen das Verhältnis von Jüdischsein und weiss-Sein aus und gehen der spezifischen Unsichtbarkeit von Juden:Jüdinnen in der Mehrheitsgesellschaft nach. In Anlehnung an das Konzept der Heteronormativität erlaubt «Gojnormativität», Dominanzverhältnisse in der Gesellschaft zu befragen und so ein anderes Sprechen über Antisemitismus zu etablieren.

Das Buch ist eine Aufforderung zu einem bedingungslosen Einbeziehen von Juden:Jüdinnen in intersektionale Diskurse und Politiken und zugleich ein engagiertes Plädoyer für solidarische Bündnisse und Allianzen.

Wann: 8. Mai 2025 um 19:00 Uhr
Wo: Zollhaus Zürich / online mit Livestream
Sprache: Deutsch und Verdolmetschung in Gebärdensprache (auf Anfrage)
Moderation: Prof. Dr. Amir Dziri
In Kooperation mit: ZIID und feministisch*komplex

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