Ewiger Jude

Weitere Begriffe zum Thema Judentum:

Der «Ewige Jude» ist eine Gestalt aus der christlichen Legendenbildung des Mittelalters. Die Legende erzählt von einem Mann in Jerusalem, der Christus auf dem Gang zur Kreuzigung beleidigte und dafür von ihm zur ewigen Rastlosigkeit verdammt wurde. Dass es sich dabei um einen jüdischen Schuhmacher namens Ahasver gehandelt hat, tauchte erstmals in einem deutschen Volksbuch des Jahres 1602 auf. Im 19. Jahrhundert nahm die Legende dezidiert antisemitische Züge an.

Die Geschichte war in verschiedenen Versionen seit dem 13. Jahrhundert im Umlauf. Die Hauptfigur war nicht immer ein Jude; ältere Versionen nannten ihn Cartaphilus, Buttadeo oder Juan Espera en Dios. 1602 erschien in Leiden die «Kurtze Beschreibung und Erzehlung von einem Juden mit Namen Ahasverus» eines unbekannten Autors in jener Fassung, die später in Volkssagen und unzählige Bearbeitungen einging und in ganz Europa weite Verbreitung erfuhr.

Die «Kurtze Beschreibung» erzählt von einer Begegnung des Reformators Paulus von Eitzen mit einem seltsamen Mann in der Kirche von Hamburg. Der Fremde habe der Predigt still zugehört, sich aber bei jeder Nennung des Namen Jesu an die Brust geschlagen und tief geseufzt. Von Eitzen habe dann von ihm erfahren, dass er der jüdische Schuster Ahasver sei, der seit der Kreuzigung Jesu ruhe- und rastlos durch die Welt wandere. Ahasver habe Jesus eine Rast vor seinem Haus verweigert, als dieser auf dem Weg zum Kreuz ausruhen wollte, und sei darauf von ihm verflucht worden: «Jch wjll stehen und rvhen /dv aber solt gehen».

Die Schrift wurde in kurzer Zeit in vielen Auflagen herausgegeben und in zahlreiche Sprachen übersetzt. Warum der Autor den Namen Ahasver wählte, ist unbekannt; der Name ist nicht jüdischen, sondern persischen Ursprungs. In der hebräischen Bibel ist es der Name des persischen Königs Xerxes I., der die Jüdin Esther zur Frau nahm. Die Bezeichnung Ewiger Jude für Ahasver ist erstmals in einer Version der Legende aus dem Jahre 1694 belegt. Im Englischen wird die Figur «The Wandering Jew» und im Französischen «Le juif errant» genannt.

Die Forschung hat seit dem 18. Jahrhundert einen Bedeutungswandel der Legende festgestellt. War sie vorher als Teil der christlichen Heilslehre verstanden worden, und wurde Ahasver als reumütigem Juden, der das Wiederkommen Christi bezeugen sollte, Respekt und Verehrung entgegengebracht, so bekam die Geschichte in der Moderne zunehmend antisemitische Züge. Heimatlosigkeit und Rastlosigkeit des Ahasvers erschienen nun nicht mehr als Strafe Gottes, sondern als natürlicher Wesenszug der Jud:innen. Die Nazis griffen die Geschichte auf; 1940 wurde der Propagandafilm «Der ewige Jude» produziert.

Es existieren unzählige literarische Bearbeitungen des Stoffes (Romane, Gedichte, dramatische Werke, Märchen und Legendensammlungen) und das Motiv des Ahasvers wurde in der bildenden Kunst und in musikalischen Werken aufgenommen.

© GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus, 2015

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20.11.2024

Fischhof-Preis prämiert zwei Politiker:innen und eine Aktivistin

Bei der diesjährigen Verleihung des Fischhof-Preises wurden erstmals drei Persönlichkeiten gleichzeitig für ihren Einsatz gegen Rassismus und Antisemitismus ausgezeichnet. Die Preisträger:innen sind alt SP-Nationalrat Angelo Barrile, Mitte-Ständerätin Marianne Binder-Keller und Theologin Nicola Neider Ammann. Im Gespräch mit Moderator David Karasek reflektierten sie über ihre Arbeit, ihre Motivation sowie ihre Sorgen und Ängste – doch auch über ihre Hoffnungen, die trotz aller Herausforderungen spürbar waren.  

Alt Bundesrat Moritz Leuenberger sprach ebenfalls mit David Karasek und fragte selbstkritisch: «Bin ich vielleicht selbst antisemitisch, ohne es zu merken?» Er machte darauf aufmerksam, wie tief Rassismus und Antisemitismus in der Gesellschaft verankert sind und wie selten diese Mechanismen hinterfragt werden. Bewegende Laudationen von SP-Nationalrätin Priska Seiler Graf, alt SIG-Präsident Herbert Winter und alt Grünen-Nationalrätin Cécile Bühlmann würdigten die Leistungen der Preisträger:innen eindrücklich. 

Der Fischhof-Preis setzt auch 2024 ein starkes Zeichen gegen Diskriminierungen aller Art und bietet ein Gegennarrativ zu den Stimmen, die behaupten, das «Böse» sei unaufhaltsam. Die GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus und die GMS Gesellschaft Minderheiten in der Schweiz vergeben den Fischhof-Preis, um denjenigen Personen eine Bühne zu geben, die sich für Gerechtigkeit, Demokratie und Inklusion einsetzen.

Eine fotografische Rückschau finden Sie hier.

Foto: Alain Picard

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