Unter Antisemitismus werden soziale, religiöse und kulturelle Vorurteile und feindselige Handlungen gegen jüdische Personen und Einrichtungen sowie judenfeindliche Ideologien verstanden.
Antisemitismus ist eine sprachliche Neubildung aus dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Als Schöpfer des Begriffs gilt der deutsche Publizist Willhelm Marr. Der angesehene Historiker Heinrich von Treitschke machte 1879 den Antisemitismus gesellschaftsfähig. Er prägte den Satz «Die Juden sind unser Unglück», der später ein Schlagwort des Nazi-Hetzblattes «Der Stürmer» wurde. Im Gegensatz zum christlichen Antijudaismus verstand sich der moderne Antisemitismus als eine wissenschaftlich und säkular begründete Ablehnung von Jud:innen. Die älteren Anschuldigungen (Hostienschändung, Ritualmordlegende, Wucher) wurden nicht aufgegeben, aber durch neue Vorwürfe überlagert («Volksschädlinge», «Schmarotzer», «jüdische Weltverschwörung»). Im modernen Antisemitismus verknüpften sich nationalistische, antiliberale, antikapitalistische und rassistische Motive.
Der Begriff Semit:innen wurde aus der Sprachwissenschaft und der Völkerkunde des ausgehenden 18. Jahrhunderts entnommen und als Gegensatz zu den Indogerman:innen konstruiert und abgewertet. Auch die arabische Sprache gehört zu den semitischen Sprachen. Der Einwand, Antisemitismus wende sich daher auch gegen Araber:innen oder diese könnten keine Antisemit:innen (weil selber Semit:innen) sein, geht an der Sache vorbei. Historisch und aktuell bezeichnet Antisemitismus ausschliesslich die Feindschaft gegen Jud:innen.
1871 waren die Jud:innen rechtlich im Deutschen Reich gleichgestellt worden. Neu entstehende antisemitische Parteien, Verbände und Bewegungen wandten sich gegen diese Emanzipation und machten Jud:innen für die vermeintliche «Zersetzung» von Werten verantwortlich. Aufgrund des verbreiteten Unbehagens am gesellschaftlichen und kulturellen Wandel im Laufe der Industrialisierung fanden sie eine grosse Anhängerschaft. Die antisemitischen Parteien blieben erfolglos und verschwanden schnell wieder von der politischen Bühne. Dennoch darf die Wirkung ihrer Agitationen nicht unterschätzt werden: Weite Teile der Gesellschaft nahmen Elemente ihres Gedankengutes in ihr Weltbild auf.
In der Schweiz hob – auf internationalen Druck hin – die revidierte Bundesverfassung von 1874 auf Bundesebene die letzten Einschränkungen der Bürgerrechte für Jud:innen auf. Antisemitische Motive waren aber auch danach in der schweizerischen Politik und Bevölkerung erkennbar: im Schächtverbot von 1893, im Diskurs der «Verjudung» und «Überfremdung» der Schweiz nach dem Ersten Weltkrieg, in der Frontenbewegung der 1930er und der antisemitisch geprägten Flüchtlingspolitik im Zweiten Weltkrieg.
Heute wird Antisemitismus als Oberbegriff für alle Vorurteile verwendet, die sich gegen Jud:innen als Jud:innen oder gegen das Judentum insgesamt richten. Die am weitesten verbreiteten Stereotypen unterstellen Jud:innen Geldgier, Blutrünstigkeit und Weltverschwörungsabsichten. Seit dem Holocaust äussern sich solche Meinungen jedoch nicht explizit, sondern oft nur indirekt. Grundlegend für eine antisemitische Weltanschauung – im Gegensatz zu Fremdenfeindlichkeit und Rassismus – ist die Vorstellung der Abwehr ein:er übermächtigen Gegner:in.
Die Ablehnung des Existenzrechtes Israels als jüdischer Staat oder fundamentale Kritik an der Politik des Staates Israel wird heute von einigen als neuer Antisemitismus bezeichnet. Diese begriffliche Prägung ist jedoch umstritten und wird kontrovers diskutiert.
Siehe auch die Einträge zu Antijudaismus, Ewiger Jude und Weltjudentum.
© GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus, 2015