Schnorrer

Weitere Begriffe zum Thema Judentum:

Die Bezeichnung Schnorrer:in wird in der deutschen Umgangssprache leicht abwertend für jemanden verwendet, der andere öfters um kleine Gaben oder Gefälligkeiten bittet. Das Wort ist ursprünglich Jiddisch. Im orthodoxen Judentum sind Schnorrer eine Institution.

Das jiddische Wort schnorren stammt vermutlich von der «Schnurrpfeife», mit der Bettelmusikanten umherzogen. Um 1750 ist schnorren auch in der deutschen Gaunersprache für «betteln, auf anderer Leute Kosten leben» belegt.

Im täglichen Tischgebet bitten gläubige Jud:innen Gott darum, «nicht auf die Gabe von Menschen aus Fleisch und Blut und nicht auf ihr Darlehen» angewiesen zu sein «…damit wir nicht beschämt […] werden». Auf der anderen Seite ist Wohltätigkeit und Barmherzigkeit im Judentum ein zentrales Gebot. Arme und Bedürftige wurden traditionellerweise von den reicheren Mitgliedern der jüdischen Gemeinden versorgt. An bestimmten Orten und zu spezifischen Zeiten – nach den Gottesdiensten in den Synagogen und nach Beerdigungen auf dem Friedhof – war es Brauch, dass Bettler:innen die Gläubigen an ihre Pflicht der Wohltätigkeit erinnerten. Nicht nur Arme, sondern auch Talmudhochschüler, die von einem gelehrten Zentrum ins andere zogen, verliessen sich auf die Barmherzigkeit von reichen Familien, die sie an den jeweiligen Orten durchfütterten. Als in antijüdischen Pogromen unter der Führung des Kosakenführers Bogdan Chmielnicky 1648/49 in Polen Hunderte von jüdischen Gemeinden vernichtet und Tausende Jud:innen keine Existenzgrundlagen mehr hatten, gingen sie in Massen nach Westeuropa auf Wanderschaft und baten in jüdischen Gemeinden um Unterstützung. Seit dieser Zeit wird der jiddische Begriff Schnorrer verwendet, um ein charakteristisches Merkmal, ja geradezu eine Institution in der jüdischen Welt zu bezeichnen.

Heutige Schnorrer sind in der Regel orthodox oder ultraorthodox. Sie reisen meist aus Israel an und klappern die Haustüren wohlhabender jüdischer Haushalte ab. Sie sammeln Geld – für die Mitgift ihrer Tochter oder eines verwaisten Mädchens, für die Heilung einer schwer kranken Ehefrau, für den Unterhalt der zahlreichen Familienmitglieder von Männern, die nicht arbeiten, sondern in den Talmudhochschulen lernen, oder manchmal ganz einfach für den eigenen Lebensunterhalt. In ihrem Selbstverständnis betteln Schnorrer nicht, sondern geben finanziell besser gestellten jüdischen Menschen die Möglichkeit, ihrer religiösen Pflicht nachzukommen. Insofern geschieht ein durchaus gleichberechtigter Austausch zwischen Spender:innen und Schnorrer.

Schnorrer sind nicht zu verwechseln mit dem historischen Phänomen der sogenannten «Betteljuden», einer jüdischen Unterschicht, die sich Ende des 17. Jahrhunderts bildete und deren Anzahl auf bis zu 20% der jüdischen Bevölkerung geschätzt wurde. Unter den umerziehenden Bettler:innen, «Fahrenden», Prostituierten, Vertreter:innen sogenannt unehrlicher Berufe und Gauner:innen zogen auch Jud:innen durchs Land und schlugen sich mit Betteln, Gelegenheitsarbeiten und Kleinkriminalität durch. In diesen multiethnischen und religiös gemischten Gemeinschaften entstand in Deutschland ein Sonderwortschatz («Rotwelsch», «deutsche Gaunersprache»), mit dem sich die Ausgegrenzten (in sozialen, regionalen und historischen Varianten) untereinander verständigten, sich als Zugehörige zu Erkennen gaben und vor polizeilicher Verfolgung schützten. Ins Rotwelsche gingen viele Lehnworte aus dem Romanes der Jenische, Sinti:zze und Rom:nja, dem Jiddisch der Jud:innen sowie aus dem Französischen und Niederländischen ein. Im Zuge der rechtlichen Emanzipation, als Jud:innen sich überall niederlassen und alle Berufe ergreifen konnten, verschwanden die «Betteljuden» als eigene Gruppe und integrierten sich in andere soziale Schichten.

© GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus, 2015

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24.03.2025

Lesung und Gespräch zu «Gojnormativität. Warum wir anders über Antisemitismus sprechen müssen.»

Am 8. Mai 2025 sprechen Judith Coffey und Vivien Laumann im Zollhaus Zürich über ihr Buch «Gojnormativität. Warum wir anders über Antisemitismus sprechen müssen».

Im Buch loten die Autorinnen das Verhältnis von Jüdischsein und weiss-Sein aus und gehen der spezifischen Unsichtbarkeit von Juden:Jüdinnen in der Mehrheitsgesellschaft nach. In Anlehnung an das Konzept der Heteronormativität erlaubt «Gojnormativität», Dominanzverhältnisse in der Gesellschaft zu befragen und so ein anderes Sprechen über Antisemitismus zu etablieren.

Das Buch ist eine Aufforderung zu einem bedingungslosen Einbeziehen von Juden:Jüdinnen in intersektionale Diskurse und Politiken und zugleich ein engagiertes Plädoyer für solidarische Bündnisse und Allianzen.

Wann: 8. Mai 2025 um 19:00 Uhr
Wo: Zollhaus Zürich / online mit Livestream
Sprache: Deutsch und Verdolmetschung in Gebärdensprache (auf Anfrage)
Moderation: Prof. Dr. Amir Dziri
In Kooperation mit: ZIID und feministisch*komplex

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