Pharisäer

Weitere Begriffe zum Thema Judentum:

Die Pharisäer:innen waren eine politisch-religiöse Gruppierung im Judentum zur Zeit des Zweiten Tempels. Es gibt nur wenig historisch gesichertes Wissen über ihre Glaubensinhalte, religiöse Praxis und politische Bedeutung. Im Neuen Testament werden sie als «heuchlerisch» und «selbstgerecht» bezeichnet. Diese abwertende Bedeutung ist in die heutige Umgangssprache übergangen.

Neben den Sadduzäer:innen und den Essener:innen waren die Pharisäer:innen eine der drei Schulen, Sekten oder politischen Gruppen des antiken Judentums, von deren Existenz wir aus sehr unterschiedlichen schriftlichen Quellen erfahren. Hinweise auf Bedeutung und Praxis dieser drei Gruppen sind in den Schriftrollen vom Toten Meer (aus der Zeit 250 v. bis 40 n. Chr.), den Evangelien und der Apostelgeschichte des Neuen Testaments, den Werken des jüdischen Historikers Josephus Flavius (ca. 37-100 n. Chr.) sowie aus späteren rabbinischen Schriften enthalten. Die Forschung vermutet, dass die Pharisäer:innen sich als religiöse und politische Gruppe nach dem Aufstand der Makkabäer:innen (ca. 160 v. Chr.) entwickelten.
Als historisch relativ gesichert gilt, dass die Pharisäer:innen nicht nur die schriftliche Lehre interpretierten, sondern auch mündliche religiöse Überlieferungen hochhielten und religiöse Vorschriften für ihre Zeit schufen. Dabei legten sie grossen Wert auf die Einhaltung bestimmter Reinheitsgesetze. Pharisäer:innen werden als Schriftgelehrte und als Laienbewegung dargestellt – im Gegensatz zur Priester:innenaristokratie der Sadduzäer:innen und der asketischen Gemeinschaft der Essener:innen.

Josephus Flavius beschreibt sie in seinen Werken «Der jüdische Krieg» und «Die jüdischen Altertümer» (verfasst Ende der 70er Jahre bzw. Anfang der 90er Jahre n. Chr.) als politisch einflussreiche Männer, die «im Rufe stehen, frömmer als die anderen zu sein und die Gesetze genauer auszulegen» und die «beim Volk höchsten Einfluss [geniessen]»: «Was immer zur Religion gehört, Gebete und Kultausübung, geschieht nach ihrer Auslegung». Im Neuen Testament erscheinen Pharisäer:innen als die Kategorie der «Anderen», gegen die Jesus seine religiöse Lehre schuf. Sie werden als Heuchler:innen verdammt und als Mörder:innen Jesu bezeichnet (etwa in Matthäus 23:13-36 bzw. 12:4; Johannes 11:45-54). In den rabbinischen Schriften gibt es zwar viel Material über Pharisäer:innen, dieses beschränkt sich jedoch auf religionsgesetzliche Auslegungen und Dispute und gibt keinen Aufschluss über historische Umstände. Die meisten Forscher:innen gehen davon aus, dass die frühen rabbinischen Schriften, wie die Mischna (um 200 n. Chr.), in der Tradition der Pharisäer:innen selbst stehen.

Der Begriff Pharisäer:innen kommt vom hebräischen Wort «parusch» = «abgesondert». «Peruschim« sind «die Abgesonderten» bzw. jene, die sich von unreinen Praktiken fernhalten. Ob mit der hebräischen Bezeichnung «Peruschim» in den rabbinischen Schriften tatsächlich immer die Gruppe der Pharisäer:innen gemeint ist, ist nicht klar. Wo «Peruschim» zusammen mit «Tsadduqim» erwähnt werden, handelt es sich um Pharisäer:innen und Sadduzäer:innen.
Vor allem die protestantische theologische Tradition hat dazu beigetragen, Pharisäertum und Judentum gleichzusetzen und als Gegenpol zum christlichen Glauben zu konstruieren. Das Judentum wurde, so schreibt die Judaistik-Forscherin Susannah Heschel, in dieser Tradition als «oberflächlich, legalistisch, materialistisch und religiös degeneriert» kritisiert. Diese theologische Abwertung hat sich auch in der säkularisierten Vorstellung von Pharisäer:innen und im allgemeinen Sprachgebrauch niedergeschlagen.

Siehe auch die Einträge Antijudaismus und Talmud.

© GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus, 2015

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24.03.2025

Lesung und Gespräch zu «Gojnormativität. Warum wir anders über Antisemitismus sprechen müssen.»

Am 8. Mai 2025 sprechen Judith Coffey und Vivien Laumann im Zollhaus Zürich über ihr Buch «Gojnormativität. Warum wir anders über Antisemitismus sprechen müssen».

Im Buch loten die Autorinnen das Verhältnis von Jüdischsein und weiss-Sein aus und gehen der spezifischen Unsichtbarkeit von Juden:Jüdinnen in der Mehrheitsgesellschaft nach. In Anlehnung an das Konzept der Heteronormativität erlaubt «Gojnormativität», Dominanzverhältnisse in der Gesellschaft zu befragen und so ein anderes Sprechen über Antisemitismus zu etablieren.

Das Buch ist eine Aufforderung zu einem bedingungslosen Einbeziehen von Juden:Jüdinnen in intersektionale Diskurse und Politiken und zugleich ein engagiertes Plädoyer für solidarische Bündnisse und Allianzen.

Wann: 8. Mai 2025 um 19:00 Uhr
Wo: Zollhaus Zürich / online mit Livestream
Sprache: Deutsch und Verdolmetschung in Gebärdensprache (auf Anfrage)
Moderation: Prof. Dr. Amir Dziri
In Kooperation mit: ZIID und feministisch*komplex

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